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Eine absurde Botschaft?
Gottes Menschwerdung und die Weltgeschichte
Hans Urs von Balthasar
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Eine absurde Botschaft?
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Language:
German
Original language:
GermanPublisher:
Saint John PublicationsYear:
2022Type:
Article
Im Credo der Kirche stehen lauter Ungeheuerlichkeiten: Angefangen bei der Behauptung, jemand habe dieses Unermessliche, die alle räumlich-zeitlichen Vorstellungen des Menschen sprengenden Ausdehnungen der Welt einfach so «geschaffen», über die phantastisch scheinenden Aussagen den Logos betreffend, in dem alles geschaffen ist und der just ein solcher Mensch geworden sein soll, der nicht einmal die Welt, geschweige denn Gott in sich fassen kann, bis zu den Sätzen, die zu glauben verlangen, dass ein Gestorbener leiblich weiterlebt und die gesamte Menschheit richten wird, dass er Geschehenes – die Sünde – so vergeben kann, als wäre es nie gewesen, dass er eine Gemeinschaft, Kirche genannt, gestiftet hat, in der Gottes Geist weht und die einen einzigartigen Anspruch auf Wahrheit und Heiligkeit anmelden darf, im Gegensatz zu dem, was ein gewöhnlicher Mensch an ihr sieht, und so weiter. Lauter Ungeheuerlichkeiten, wenn der normale Menschenverstand diese Aussagen überlegt und auch der christliche Gläubige einmal nachdenkt, was er zu glauben vorgibt.
Heute, am Weihnachtstag, wird einer dieser Sätze angeblendet: Gott ist Mensch geworden. Natürlich, wenn man sich unter Gott nichts weiter vorstellt als eine der Projektionen, die die menschliche Einbildungskraft an die Leinwand des Himmels geworfen hat, eine der riesig vergrößerten Kräfte des irdischen Lebens: den Eros (Aphrodite), die Wissenschaft (Athene), die Technik (Vulkan), den Krieg (Mars), den Herrscher, dem jedes goldene Laster erlaubt ist (Zeus), oder einen Gott, der stirbt und wieder aufersteht wie die Natur in Winter und Frühling (Adonis und alle Vegetationsgötter), darin ist es nicht schwer, sich vorzustellen, dass solche aus menschlicher Einbildungskraft vergöttlichte Wesen auch einmal Mensch werden können. Aber denkt man an jenen Gott, der alles andere ist als eine menschliche Projektion, der Mose seinen Namen nicht sagen will, den man nicht sehen kann, ohne zu sterben, dessen Gedanken so hoch über den menschlichen sind wie der Himmel über der Erde (Jes 55), von dem bei der Tempelweihe der König Salomo sagt: «Wohnt denn Gott wirklich mit den Menschen auf Erden? Siehe, die Himmel und der Himmel der Himmel fassen Dich nicht, geschweige denn dieser Tempel, den ich erbaut habe» (1 Kön 7,27), der deshalb dem Volk ausdrücklich und ausführlich verbietet, sich ein Bild von ihm zu machen und sich davor niederzuwerfen, «denn ich bin ein eifernder Gott, der seinen Namen nicht missbrauchen lässt» (Dt 5,9 ff.). Was soll es dann heißen, wenn dieser Hocherhabene, Ewige und Allmächtige, Gott selbst, ausgerechnet ein sterblicher, begrenzter, ohnmächtiger Mensch wird? Ist das nicht, wie wenn man eine gewaltige Eiche in einen Blumentopf pflanzen wollte? Ist es nicht ein innerer Widerspruch, dass vom Endlichen und Hinfälligen verlangt wird, es solle das Unendliche und von keiner Zeit Anfechtbare ausdrücken? Dass das so im Schoß einer Mutter Ausgebildete und von ihr Geborene zur Darstellung des absolut Ungewordenen werden soll? Lernen wir wenigstens, des Paradoxes dessen, was wir bekennen, wieder innezuwerden.
Wie lässt sich, trotz allem Abstand von Gott und Geschöpfen, der Satz, dass Gott Mensch geworden ist, nicht von vornherein als eine glatte Unmöglichkeit, ja als ein innerer Widerspruch abtun, sondern als etwas für Gott Mögliches, vielleicht als seine höchste Absicht bei der Schöpfung für glaubhaft und annehmbar halten? Es sind zwei Gedanken, die uns eine Brücke der Vermittlung zum scheinbar Absurden bauen.
Der erste wird uns mit der Menschwerdung selber offenbar. Der Gott, der Mensch wird und den Namen Jesus erhält, ist nach der Aussage des Engels an Maria «der Sohn des Allerhöchsten». Dass Gott einen «Sohn» haben kann, wäre im Alten Testament undenkbar und unverständlich gewesen, es ist dies für die Juden wie für die Moslems auch bis heute geblieben. Aber wir sehen Jesus selbst sich als «den Sohn» schlechthin bezeichnen, der Gott in einem unvergleichlichen Verhältnis seinen Vater nennt, der für sich selbst eine Autorität in Anspruch nimmt, die die der Propheten und Gesetzgeber des Alten Bundes übersteigt, dem man vorwerfen wird: «Du, der du ein Mensch bist, machst dich zum Gott» (Joh 10,33). Die Ankläger sehen darin einen Widerspruch, Jesus sieht keinen. «Ich und der Vater sind eins», erwidert er. Wenn der Sohn eins mit dem Vater und doch, weil er Sohn und nicht Vater ist, von ihm unterschieden ist, dann gibt es in der ewigen Lebendigkeit Gottes offenbar Raum für ein Anderssein, das die Einheit nicht aufhebt, sondern die Liebe erst ermöglicht (Gott ist ja «die Liebe»), und dann erweist sich das Anderssein nicht als etwas der höchsten Einheit Abträgliches, sondern als etwas Gutes und Bestes. Wenn das in Gott so ist, warum sollte denn unser geschöpfliches Anderssein als Gott nur etwas Negatives, unüberwindbar Fremdes Gott gegenüber sein?
Das führt unmittelbar zum zweiten vermittelnden Gedanken: Wenn in Gott selbst ein Anderssein innerhalb der Einheit besteht, dann wird der ewige Sohn des Vaters als sein vollkommenes Abbild zu gelten haben; Paulus nennt ihn das «Bild» Gottes, die Ikone schlechthin. Und dann hören wir ja am Anfang der Heiligen Schrift, dass auch der kleine, begrenzte Mensch als ein «Bild und Gleichnis» Gottes geschaffen wurde. Nicht nur, weil er Verstand, Willen, Selbstbewusstsein hat, was alles wir Gott nicht absprechen können, sondern weil auch er der Eine und der Andere ist, wie die Genesis auch sogleich hinzufügt: «Er schuf den Menschen nach seinem Bilde, er schuf ihn als Mann und Frau». Eine durchaus positive Verschiedenheit innerhalb der Einheit der Menschennatur.
Darin haben wir die gesuchten Brücken: Für die ewige wie für die zeitliche Liebe ist es gut, sogar unentbehrlich, dass es den Andern innerhalb einer umfassenden Gleichheit gibt, und es gibt ja in Gott wie im Menschen nicht nur das, sondern außerdem auch noch das Dritte, die aus dem Einen und dem Andern entstehende eine Frucht: in Gott als der Heilige Geist, im Menschen als eine Fruchtbarkeit der gegenseitigen Liebe, ob diese Frucht nun eine leibliche oder eine rein geistige sei. Verstehen wir jetzt, dass der, der in Gott das Bild schlechthin, das Ur-Bild ist, sich im Bild oder Abbild, das der Mensch ist, verkörpern kann?
Der Sohn wird Mensch, um Gott den Vater auszudrücken. Er wird ja auch als das «Wort» bezeichnet, worin dieser alles ausspricht, was er ist. Der erste Sinn der Menschwerdung wäre also der, den Gott, der so fern und unbekannt ist, für uns Menschen verständlich auszudrücken: «Niemand hat Gott jemals gesehen. Der einzige Sohn, der im Schoß des Vaters ist, er hat ihn ausgedrückt»; das griechische Wort könnte wörtlich übersetzt werden: «Er hat uns die Exegese Gottes, seine Auslegung gegeben» (Joh 1,18). Und dazu hat der Sohn uns noch etwas vom göttlichen Geist geschenkt, damit wir als Menschen fähig würden, diese Auslegung auch zu begreifen. «Denn wer weiß, was innen im Menschen vorgeht, als nur der Geist des Menschen, der in ihm ist? So hat auch niemand erkannt, was in Gott vorgeht, als nur der Geist Gottes selber. Wir aber haben den Geist aus Gott erhalten, damit wir verstehen, was uns von Gott geschenkt worden ist» (1 Kor 2,11-12).
Die Frage ist nun, natürlich, wie Göttliches in einer menschlichen Sprache ausgedrückt werden kann. Bleibt diese nicht unendlich hinter der Wirklichkeit zurück, auch wenn der Sohn Gottes, der Mensch Jesus Christus, sie uns in menschlicher Sprache zuspricht? Bliebe es bei bloßen Worterklärungen, so dürfte das wohl zutreffen. Aber es heißt ja nicht, das göttliche Wort sei menschliches Wort geworden, sondern Fleisch, das heißt in der Sprache der Bibel konkreter, leibhaftiger, und sterblicher Mensch. Also spricht er durch sein ganzes Menschsein von Gott, und am meisten und lautesten durch das letzte «Wort» des Menschen, durch seinen Tod. Einen schrecklichen Tod, vor allem deshalb, weil der Sohn sich innerlich vom Vater verlassen fühlt, und dies, weil er, wie christlicher Glaube uns sagt, die gottfremde Situation der Sünder, die wir alle sind, auf sich genommen hat.
Was sagt dieses furchtbare Wort seines Todes? Einmal bringt es die ganze Wahrheit der schuldigen Menschheit vor Gott ans Licht, der Sohn drückt darin auch die ganze Wahrheit des Menschen aus. Dann aber sagt dieses Wort, dass «Gott die Welt so sehr geliebt hat, dass er seinen einzigen Sohn für sie dahingab» (Joh 3,16), wobei diese Liebe nicht einseitig im Vater liegt, sondern ebenso im Sohn: «Niemand raubt mir mein Leben, ich gebe es freiwillig hin» (Joh 10,18). Dass dieser Tod die höchste Offenbarung der göttlichen Liebe an sich und für die Welt ist, zeigt uns das letzte Ergebnis der Menschwerdung: die Verherrlichung des Sohnes in seiner Auferstehung, durch welche «der Herrscher dieser Welt», das Widergöttliche, als endgültig besiegt erwiesen wird (Joh 12,31; 16,11.33).
Erst hier wird sichtbar, was die Menschwerdung des Wortes, was Weihnacht bedeutet. Es ist der Ausgangspunkt für das, was erst auf Grund dieses unscheinbaren Ereignisses sich ereignen wird. «Heute ist euch der Retter geboren, welcher der Christus (der Gesalbte Gottes) ist, der Herr, in der Stadt Davids» (Lk 2,11). Weihnacht schenkt uns die sichere Hoffnung, dass es nicht nur Reden und Gleichnisse vom Himmelreich geben wird, sondern eine Tat Gottes, der in der Gestalt eines Menschen die Menschheit retten wird.
Aber ist sie denn gerettet, ist nicht seit Christi Geburt der Teufel erst recht auf Erden los, ärger als vorher? Genau das wird in der Apokalypse bestätigt: Bei der Geburt des Kindes und seiner Entrückung zu Gott hat «der Drache, die alte Schlange, genannt der Teufel und Satan, keine Stätte mehr in der Ewigkeit», er, «der den ganzen Erdkreis verführt, wird auf die Erde geworfen, und sein Zorn war groß, weil er weiß, dass ihm nur noch eine kleine Frist bleibt» (Apk 12,9.12). Erst jetzt treten die großen Symbole des Bösen auf: die lästernden antigöttlichen, scheinbar allmächtigen Tiere – die Perversion und die Lügenpropaganda dafür, die beide für die Welt verblüffende, verführerische Macht besitzen und sogar «die Heiligen (die Christen) verführen» können (Apk 13,7). Erst wo das endgültige und unüberholbare Gute auf den Plan tritt, wird auch das volle Nein des antitheistischen Atheismus in der Weltgeschichte lebendig. Und doch wird im abschließenden Buch der Heiligen Schrift zwischen Christus mit den Seinen und den gegnerischen Kräften nicht ein Kampf mit ungewissem Ausgang geschildert, denn in diesem Buch hat das «Lamm, das wie geschlachtet ist», von vornherein gesiegt, und auf dem Höhepunkt der Gegnerschaft vernichtet es die feindlichen Kräfte mit dem «scharfen Schwert, das aus seinem Munde hervorgeht» (Apk 19,15), das heißt mit dem «Wort Gottes», das durch seinen Sühnetod für die Menschheit immer schon gesiegt hat: «Ich bin der Erste und Letzte, ich war tot, und siehe, ich bin lebendig in alle Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes und des Totenreiches» (Apk 1,17-18).
Wenn wir es auch nicht sehen und greifen können, dass der heute wogende Kampf in der ganzen Welt Ausdruck dessen ist, dass der menschgewordene Gott schon gesiegt hat: Er sagt es uns und beweist es uns durch sein Leben jenseits aller Todesdrohung und des wirklichen Erliegens und Sterbens. «Der Tod ist verschlungen in den Sieg» (1 Kor 15,54). Bei aller Ungeborgenheit der Armen, Unterdrückten, Vertriebenen und Verzweifelten auf der Welt ist im letzten durch Gottes Menschwerdung die Menschheit in Gott geborgen wie das Jesuskind an der Brust seiner Mutter. Das letztere sehen wir, das erstere nicht. «Aber eine Hoffnung, die sieht, ist keine Hoffnung, denn wenn einer sieht, wozu hofft er dann noch? Wenn wir dagegen erhoffen, was wir nicht sehen, so erharren wir’s in Geduld», «die Hoffnung aber trügt nicht, weil die Liebe Gottes ausgegossen ist in unsern Herzen» (Röm 8,24 f.; 5,5). Die Geduld der Hoffnung widerspricht nicht der Ungeduld dieser Liebe, die die irdische Not zu lindern versucht, wo immer sie kann, und damit ihre Dankbarkeit gegen die menschgewordene Liebe Gottes zu erweisen sucht: «Was ihr dem geringsten meiner Brüder getan…»
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