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Rede an der Verleihung des Mozart-Preises 1987
Rede des Preisträgers an der Verleihung des Wolfgang Amadeus Mozart-Preises am 22. Mai 1987
Erlauchte Versammlung,
Sie werden verstehen, daß es für einen Christen, der das Wort Pauli im Ohr hat, kein Mensch solle sich rühmen, es sei denn im Herrn, nicht leicht ist, eine Laudatio über seine Person anzuhören. Der erste Dank, den er daraufhin abstattet, geht empor an den Herrn. Nun darf er auch all denen danken, die ihm dieses wunderschöne Fest bereitet haben, dem Stifter zuerst, Herrn Senator Alfred Toepfer, der vor fünfzig Jahren seinen ersten Mozart-Preis verlieh, dem ganzen Kuratorium der Goethe-Stiftung, dem überaus sorgsamen Verfasser der Würdigung, Herrn Heinrich Schmidinger, dem hochwürdigsten Herrn Bischof Kapellari, dem ich seit Jahrzehnten so vieles verdanke, den hochwürdigen Äbten von Wilten und von Mariastein – welch herrlichen Rahmen hat uns der erstere zur Verfügung gestellt –, dem Herrn Bürgermeister Niescher und allen, die zur musikalischen Umrahmung auf erfreulichste Weise beigesteuert haben. Nach der tiefsinnigen Analyse Herrn Dr. Schmidingers darf ich mich kurz fassen.
Eins ist sicher: ich habe offensichtlich zuviel geschrieben. Ich merke es an den vielen Anfragen: Was soll ich aus ihrem unübersehbaren Schrifttum lesen? Gibt es einen sinnvollen Einstieg? Vielleicht darf ich in Kürze, ohne Sie allzusehr zu langweilen, zwei Dinge erklären: Einmal, warum ich mit allem Unternommenen immer nur Eines angezielt habe, und sodann, warum ich im Anzielen dieses Einen einmal eine deutliche Wende vornehmen zu müssen meinte.
Der Anmarsch zum Ersten war ein langer, aber lohnender. Die Jugend war bestimmt durch Musik; ich hatte als Klavierlehrerin eine alte Dame, die Schülerin von Clara Schumann gewesen war, die mich in die Romantik einführte, deren letzte Ausläufer ich als Student in Wien auskostete: Wagner, Strauß und besonders Mahler. Das alles nahm ein Ende, als ich Mozart ins Ohr bekam, der dieses Ohr bis heute nicht mehr verließ; so teuer mir in den reifen Jahren Bach und Schubert blieben, Mozart war der unverrückte Polarstern, um den die zwei andern (der große und der kleine Bär) kreisten.
Aber ich studierte in Wien nicht Musik, sondern vor allem Germanistik, und was ich dort lernte, war das, was ich später in meinem theologischen Schrifttum ins Zentrum stellte: das Erblicken-, Werten- und Deutenkönnen einer Gestalt, sagen wir: den synthetischen Blick (im Gegensatz zum kritischen Kants, zum analytischen der Naturwissenschaft), und dies Gestaltsehen verdanke ich dem, der nicht abließ, aus dem Chaos von Sturm und Drang auftauchend, lebendige Gestalt zu sehen, zu schaffen, zu werten: Goethe. Ihm danke ich dieses für alles Hervorgebrachte entscheidende Werkzeug. (In den Gesprächen mit Eckermann, die Nietzsche das schönste deutsche Buch nennt, erkennen wir übrigens, wie sehr er sein eigenes Gestaltschaffen in Mozart wiedererkannte. Mozart, Shakespeare, Raffael anerkannte er als die uneinholbar über ihm Stehenden.)
Dies war das für alles Spätere unentbehrliche Instrument. Als ich am Ende meiner Studien die geistliche Laufbahn wählte, trat Jesus Christus und sein Werk, wie es in der Kirche fortlebt, in den Mittelpunkt; Christus als der, für welchen er selber sich ausgab: als den Sohn und Boten des göttlichen Vaters, der «die Welt sosehr geliebt hat, daß er seinen Einzigen dahingab», um ihr, der entfremdeten, das Heil wiederzugeben. Die deutsche Kultur vom frühen Mittelalter bis in die Neuzeit war christlich gewesen, vom 18. Jahrhundert an entfremdete sie sich immer mehr von ihren Grundlagen. So erhob sich für mich zunächst die Frage: Wie stehen die Großen, auf denen diese neuere Kultur ruht, in ihrem Letzten, Innersten zum christlichen Erbe: sie alle, von Herder und Lessing über Kant und die Idealisten, die Weimarer, Jean Paul und Hölderlin, Hebbel, Wagner, Nietzsche bis zu den Lebensphilosophen, zu Hofmannsthal, zu Rilke, zu Scheler? Prometheus und Dionysos gegen den Gekreuzigten, aber waren nicht auch jene beiden Gekreuzigte? Das fragt mein dreibändiger Erstling: «Die Apokalypse der deutschen Seele», ein Werk, das völlig neu geschrieben werden müßte. Dann, als ich Theologie in Frankreich studierte, kamen zwei andere ähnlich dramatische Fragen hinzu: War das Problem, wie die großen Kirchenväter, Origenes, Gregor von Nyssa, Augustin, Maximus zur griechischen religiösen Philosophie von Plato bis Plotin standen, ein ähnliches Maskenspiel? Und schließlich rückten die großen katholischen Dichter Frankreichs in den Blick: Wie stand es bei Claudel mit dem Verhältnis zwischen Eros und Agape im «Seidenen Schuh», wie bei Péguy mit dem Verhältnis zwischen Sozialismus und Christentum, wie bei Bernanos mit der Frage zwischen Titanismus («Sonne Satans») und Heiligkeit? Sie sehen: die braven theologischen Schulbücher, die man fürs Examen lernen mußte, interessierten mich weniger als die Werttafeln der modernen Kultur in ihrer Beziehung zu den zentralen christlichen Wahrheiten. Es galt einmal, die alten Bastionen der irdischen heiligen Stadt Jerusalem zu schleifen (denn allzu vieles hatte sich unterdessen außerhalb der Wälle angesiedelt), und zum andern, die wertvolle Substanz der Altstadt in die neuen Quartiere hinauszutragen. Transpositionen, Osmosen aller Art schienen das Nötigste: hatte Christus seine Jünger nicht in alle Völker und Zeiten hinausgesendet, war Kirche nicht wesentlich zentrifugal, missionarisch?
Dies alles beschäftigte mich, grosso modo, in den Jahren 1940 bis 1960, also vor dem letzten Konzil, dem ich nicht beiwohnte, das aber in manchem die Linie bestätigte, die mir vorgeschwebt hatte. Doch dann wurde ein Innehalten, eine Besinnung notwendig, auch das durchaus schon vor dem Konzil. Was hatte denn diese katholische Altstadt der Welt noch an wahrhaft Anziehendem, ja Lebensnotwendigem zu bieten? Sah man sich um, so schien sich zweierlei zu ereignen. Einmal ein fieberhaftes, angeblich «pastorales» Brückenbauen, Anpassen, Schmackhaftmachen des Christlichen für die Moderne, ein Betrieb, der bis heute fast unvermindert anhält. Anderseits die drinnen wie draußen gefühlte Unglaubwürdigkeit der Form dessen, was man anbot. Es ereignet sich, was man in gewissen alten Städten der DDR beobachten kann: den Kern läßt man als unsanierbar zerfallen und errichtet am Rand Betonmonster. Da war es nochmals Goethe, der mir den Weg wies. Die Theologie, wie sie sich darbot, kam mir wie ein baufälliger Barockpalast vor. Einmal hatten die Termiten der modernen Exegese so viele Balken angefressen, daß die Dogmatiker Angst bekamen, länger darunter zu wohnen. Dann aber hatten die zertrennten Traktätchen, in die man den Inhalt des Wortes Gottes zerlegt hatte, dem Ganzen jede Gestalt genommen: Ein bißchen Apologetik, warum man noch glauben darf und soll, dann «der eine Gott», «der dreieinige Gott», «Jesus als der Bote Gottes» – ein besonders dorniges Gestrüpp oder zerschossenes Schlachtfeld – ein Traktat «von der Kirche», ein weiterer «von den Sakramenten», schließlich einer «von den Letzten Dingen»; die Moral war ein eigener ausgebauter Traktat: Materialien in Fülle, bloß keine erkennbare Gestalt. Lohnt es sich, das zu exportieren?
Also Neubauen, so daß aus dem «alten Wahren» eine einheitlich faßbare Gestalt ersteht, und zwar eine so organische, daß jedes Glied alle andern fordert, die Fülle Zeugnis gibt von der unzerteilbaren Einheit. Christus bleibt unverständlich, wenn Gott nicht dreieinig, nämlich die Liebe in sich ist, aber auch, wenn die Kirche nicht so beschaffen ist, wie sie in ihrer Grundstruktur dasteht. Gott aber beweist sich als die Liebe nur, wenn das Wort vom Kreuz nicht «entleert» wird, wie Paulus sagt, und nur unter der gleichen Bedingung erhalten Schuld, Leid und Tod ihre Erklärung. Das härteste Nein des Atheismus gibt es nur, wenn es Antwort ist auf das absolute Ja Gottes zur Welt. Das Heil der Welt ist universal nur, wenn die Kirche nicht zu einem internationalen Verein degradiert wird. Jeder dernier cri der Sprachanalyse scheitert daran, daß der Mensch nicht nach der Logik des Wissens, sondern nach der der Liebe entworfen ist. Und zuerst galt es zu zeigen, warum das Phänomen Jesus Christus vollkommen unvergleichbar ist mit jeder andern von menschlicher Sehnsucht erfundenen Religion und Weltanschauung. Dies ein paar Blicke auf die Trilogie, die ich von 1961 bis 1986 in (leider) fünfzehn Bänden ausgebreitet habe, worin das «alte Wahre» einmal anders, als unzertrennbare Gestalt gesehen wird. Ein kurzer «Epilog» soll einen Durchblick durch das Ganze bieten. Übrigens zeigte sich, daß eine derartige Vorstellung des Christlichen gleichzeitig seine beste Rechtfertigung war, so daß mein früheres Anliegen im zweiten – im wesentlichen – miteingeborgen war.
Doch sollte der Bau nicht monolithisch und beziehungslos für sich stehen, darum bevölkerte ich den Park mit vielerlei Standbildern, von Dichtern, Philosophen und besonders von Heiligen; sie alle sollten beweisen, wie vielfältig, wie original und doch konvergierend man die lebendige, von Gott selbst gestaltete Mitte annähern und zugleich von innen her entfalten kann. Gerne verwende ich das Bild einer Statue, die, wenn sie gute Plastik ist, umschritten werden muß, um bei jedem Schritt eine neue Sicht zu bieten und dabei doch immer das gleiche Gebilde zu bleiben.
Natürlich, wenn Gott selber nicht nur im Spiel ist, sondern den Spielleiter bildet, läßt sich die von ihm hingestellte Form, die von ihm aufgeführte Symphonie, das von ihm inszenierte Drama nicht als etwas weltlich Überblickbares, Geschlossenes darstellen. Darum ist Theologie noch weniger eine Wissenschaft wie andere, als es nach Heidegger die Philosophie ist, sondern das stete Umkreisen des «heilig öffentlichen Geheimnisses». Zerbricht an der Torheit des Kreuzes nicht jegliche übersehbare Gestalt? Und doch: gerade von ihm aus wird alles begreifbar; von der Sonne, in die man nicht blicken kann, wird alles beleuchtet.
Deshalb wird kein Theologe sich einbilden dürfen, das End-Gültige Gottes mit der eigenen Vernunft oder Einbildungskraft nachzubilden oder auch nur würdig zu preisen. Die wirklichen Meister im existentiellen Lobpreis bleiben für ihn die Heiligen. So kann er, der Theologe, nochmals mit Goethe (Epigrammatisch), schließen:
«Seh ich die Werke der Meister an,
So seh ich das, was sie getan;
Betracht ich meine Siebensachen,
Seh ich, was ich hätt sollen machen».
Hans Urs von Balthasar
Original title
Dank des Preisträgers – Prof. Dr.Dr.h.c. Hans Urs von Balthasar
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Language:
German
Original language:
GermanPublisher:
Saint John PublicationsYear:
2022Type:
Article
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