Dieser Kommentar ist als Hilfe zum betrachtenden Gebet bestimmt. Es bietet dem Beter Anlässe, das Wort Gottes tiefer anzubeten, es demütiger zu lieben, entschiedener aus ihm zu leben. Die Heilige Schrift ist Werk und Wort des Heiligen Geistes, der als ihr eigentlicher Autorin und über den menschlichen Autoren denkt und spricht. Ihr entscheidender Sinn ist deshalb ein göttlicher, ewiger und unendlicher Sinn; er ist Gottes Sinnen selber, sofern Gott es uns mitzuteilen geruht. Zugleich ist die Schrift der Hinweis des Heiligen Geistes auf das Fleisch gewordene Gotteswort, Jesus Christus, und auf seine Vorbereitung im Alten Bund und Ausbreitung in der Apostelzeit; nirgends begegnen wir dem Sohn, sofern er das Wort ist, unmittelbarer als hier, wo der Geist von dem Seinigen nimmt, um uns in alle seine Wahrheit einzuführen. Wahrheit über Gott den dreieinigen selbst, Wahrheit über Schöpfung und Menschenleben, Wahrheit über jeden Einzelnen, über die persönlichste, einmaligste Beziehung eines jeden zu Gott. Nicht durch Versenkung in uns selber finden wir den Letztsinn unseres Daseins, sondern in der demutsvollen Anbetung und Annahme des Wortes des Vaters, worin wir in ewiger Gnade angesprochen, gereinigt und aufgerichtet, in Anspruch genommen und gesendet sind. Christliches Leben ist deshalb ein Leben in der Zwiesprache mit dem Wort - «ich bete, also bin ich» -, das uns Gnade und Wahrheit als zwei untrennbare Seiten des einen Seins offenbart und uns anleitet, wie wir das sein können, was wir durch Gnade sind und sein sollen: des Vaters geliebte Kinder, des Sohnes Brüder und Tempel des Heiligen Geistes. Gott ist Geist, und auch wir sind Geister voll Freiheit und Vernunft. Darum genügt eine bloß sakramentale Frömmigkeit nicht; wir müssen Gott, der sich uns geisthaft offenbart, auch geistig begegnen, seine Offenbarung im Glauben zu verstehen versuchen, um dann fähig zu sein, seinen Heilswillen in menschenwürdiger Weise zu vollbringen. Dieser Versuch einer geistigen Begegnung mit dem Worte Gottes ist das hörende oder kontemplative Gebet.

Aus der Einleitung