Menu
Priesterliches Leben aus dem Gebet
Durch das Gebet ist der Priester dazu gelangt, Priester werden zu wollen. Er weiß, was er dem Gebet verdankt, und er will das Gebetsleben der Kirche erneuern. Er weiß auch, daß er durch sein eigenes Gebet an diesem Wirken sich beteiligen soll. Er hat aber in seinem Priesteramt eine Fülle von Aufgaben, die ihm wenig Zeit zum Beten lassen. Und doch muß eine Lösung gefunden werden, die seinem Gebet so viel Kraft verleiht, daß sein Amt und alle seine Beschäftigungen aus ihm heraus gedeihen. Die mündlichen Gebete wird er wie jeder andere auch verrichten, das Morgen- und Abendgebet, das Tischgebet usf. Darüber hinaus ist ihm viel mündliches Gebet von Amts wegen auferlegt: durch die heilige Messe und die Spendung der Sakramente, durch die verschiedenen Andachten in der Kirche, mit anderen Glaubenden zusammen, und nicht zuletzt durch das Brevier. Und daneben soll er, soweit es möglich ist, auch das betrachtende Gebet pflegen.
Jene erste Gruppe von Gebeten wird er oft rasch verrichten müssen. Er kommt spät zu Bett, steht früh auf, wird unter Umständen unvermutet zu einem Sterbenden gerufen, noch bevor er die Messe lesen kann. Sein privates mündliches Gebet wird oft in seiner Ordnung gestört, so daß er sich gelegentlich mit einer guten Meinung begnügen muß. Mehr Zeit hat er für die Gebete, die er nach Belieben während seines Tages verteilen kann. Und alle Zeit besitzt er für jene, die er in der Kirche von Amts wegen zu verrichten hat. Diese Gebete betet er nicht privat. Sie werden von anderen gehört und aufgenommen, mitvollzogen und mit vor Gott getragen. Er spürt, indem er sie verrichtet, die Gebetsgemeinschaft. Eine Gemeinschaft, die die Gegenwart des Herrn verleiht: «Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, bin ich unter ihnen.» Und der Priester braucht nicht das Gefühl zu haben, die ganze Last ruhe nur auf ihm: er darf vertrauen, daß die Erhörung da ist, daß der Herr gegenwärtig ist.
Dieses kirchliche Beten des Priesters steht in besonderer Beziehung zur Dreifaltigkeit. Verrichtet er die Gebete der heiligen Messe oder eines Sakramentes, dann ist der Sohn da und sendet den Geist, der in den Sakramenten enthalten ist, und diese Gegenwart von Sohn und Geist ist im Vater eingeschlossen. Im privaten Gebet ist vor allem der menschgewordene Herr da, und die Trinität ist gewissermaßen durch ihn vertreten, in ihm verborgen; den Vortritt hat die Nähe, die Gott auf Grund der Menschwerdung zu uns gewonnen hat. Im amtlichen Gebet ist es eher so, daß der Sohn, der seiner Kirche das Amt geschenkt hat, es ihr so sehr im Namen des Vaters gab und durch die Sendung des Geistes vermittelt, daß jetzt fast der Sohn hinter dem Vater und dem Geist sich verborgen hält, hinter dem Vater, der angesprochen wird, und dem Geist, der das Gebet erfüllt.
Sowohl im privaten wie im amtlichen Gebet hat der Priester eine gewisse Mühe, die Betrachtung einzuflechten. Aber er hat im Gebet seine Gemeinde vor Augen, die Gemeinde, für die er verantwortlich ist, und diese ist es, die befruchtend auf sein Gebet wirkt. Wenn er zum Beispiel das Absolutionsgebet spricht oder das Gebet bei der Kommunionausteilung, so erlebt er den Sakramentenempfang mit dem Empfänger zusammen, und die Wirkung der Spendung auf den Empfänger wird seinem Gebetswort einen gewissen kontemplativen Zug verleihen. Die Betrachtung wird also ihren Stoff weniger im Evangelium oder in der himmlischen Ewigkeit finden, als im Erlebnis der Empfänger, die in der priesterlichen Gnadenvermittlung etwas vom Himmel erhalten, etwas von der realen Gegenwart des Sohnes bekommen. Und weil das nicht ohne das vermittelnde Gebet des Priesters geschieht, ist es jeweils, als müßte der Priester etwas von seiner eigenen Substanz seinem Gebet mitgeben, etwas, das vom Empfänger so rasch aufgenommen wird, daß der Priester niemals imstande wäre, es in sich zu ersetzen, wenn dies durch ihn und nicht durch Gott geschähe. Und das, was er von sich zu geben hat, ist nicht vor allem das Seine, sondern das, was Gott ihm zur Vermittlung anvertraut hat, und so ist er zuletzt nur Gefäß und Durchgang für die Gnade. Wie er Gottes Gnaden vermittelt und diese Gnaden amtlich durch ihn hindurchgehen, so vermittelt er gleichzeitig sich, der ja in seinem Amt nichts anderes ist als ein Produkt der göttlichen Gnade. Es gibt eine unlösliche Synthese zwischen der sakramentalen und der priesterlichen Gnade. Und mit der Gnade seines Priestertums ist verbunden sein eigener Verzicht, der ihm den Eintritt in das Priestertum ermöglicht hat, so daß auch die Fruchtbarkeit seines Verzichtes jedesmal mit zur Verteilung kommt und davon zehrt. Es ist ja nicht ein Verzicht, der als abgeschlossener hinter ihm liegt, sondern ein Verzicht, den er jeden Tag seines Lebens neu zu leisten hat. Und so wird er zu gleicher Zeit immer neu entleert und beraubt durch seine Gemeinde und immer neu gefüllt und bereichert durch Gott. Nicht so, daß er sich sorglos berauben lassen kann, weil er von vornherein damit rechnet, das Hingegebene durch Gott zurückzuerhalten. Er bleibt einen Augenblick in Schwebe, so gebend und hingegeben, daß er nicht bedenkt, nicht damit rechnet, nicht darauf achtet, ob er das Verschenkte zurückerhält. Und seine Bereicherung liegt vor allem darin, daß er an der Bereicherung des Empfängers teilhat, etwa so wie jemand, der eine gute Geschichte zu erzählen hat, sich im voraus freut an der Freude, die seine Geschichte auslösen wird, und wenn er sie dann erzählt hat, sich noch einmal mit den anderen freut und darüber, daß er hat Freude bereiten können. So wird etwa der Priester beim Beichthören von vornherein an der Sicherheit und am Troste dessen teilhaben, den er losspricht, und bei der Spendung selbst nochmals diesen Trost empfangen.
Das kirchliche Gebet gehört für den Priester zu seiner Aktion. Er bedarf aber auch natürlich der Kontemplation. Die Vielheit seiner amtlichen Tätigkeit ist ja bedingt durch die Vielheit der Lebenssituationen, der Stände und der Charaktere, mit denen er in Berührung kommt und für die er alle das rechte Wort des Trostes und der Stärkung zu finden hat. In einem fort muß er geben, sich ausgeben, und so ist er in großer Gefahr, leblos und schematisch zu werden. Und er wird diese Gefahr nicht allein dadurch bannen, daß er eine «lebendige Persönlichkeit» ist und sich als solche gibt. Die wahre Überwindung dieser Gefahr stammt aus der Objektivität ruhigen Betens, vor allem aus der Betrachtung und aus dem Brevier. Wenn beim Ordensmann der Rahmen der Betrachtung primär durch den Geist des Ordens abgesteckt wird, so wird er beim Priester mehr durch die sich gleichbleibenden Forderungen seiner Gemeinde gebildet. Diese Forderungen sind schon im Evangelium, in den Begegnungen des Volkes, der Glaubenden und der Nichtglaubenden mit dem Herrn vorgezeichnet, und sie lassen sich zusammenfassen in dem einen Wort: Beruhigung im Glauben. Alle, die dem Priester begegnen, wollen immer das. Sei es durch die Spendung der Sakramente, sei es durch eine persönliche Aussprache. Und die Hindernisse und die Anliegen, mit denen die Menschen zum Priester kommen, sind die gleichen, die sie schon zum Herrn trieben und von ihm Rettung und Erlösung erhoffen ließen. Nur steht an der Stelle des Herrn heute der auf den Herrn hinweisende Priester. Und um diesen Hinweis zu leisten, braucht er die Objektivität der Kontemplation. Er braucht sie nicht nur, um die anderen zu stärken, er braucht sie ebensosehr, um selber persönlich zu sein und zu bleiben. Die Anliegen der Leute sind für sie selber immer das Einmalige, für den Priester sind sie immer wieder und immer mehr sich gleichende. Er könnte sie in Gruppen einteilen, für jeden ein Rezept haben, sich so die Sache erleichtern. Aber gerade das darf er nicht tun. Er muß jeden persönlich zum Herrn führen. Und um sich auch das zu erleichtern, verlegt er sich vielleicht darauf, sich in «leutseliger» Weise mit seinen Pfarrkindern anzubiedern, menschlich-allzumenschlich und nicht mehr priesterlich an ihrem Leben teilzunehmen. Vor dieser erneuten Gefahr kann ihn nur die Objektivität seines Priestertums retten, das zuletzt in der Betrachtung gründet. Eine objektive Kenntnis der Offenbarung, zum Beispiel der Situationen des Herrn im Evangelium, seines Umgangs mit den Sündern, den Zöllnern und Dirnen, den Strebenden und den Rückfälligen, den Lauen und Abweisenden und den wenigen Getreuen. Er muß die Gepflogenheiten des Herrn kennenlernen vorgängig den Seelsorgsfällen, die ihm zukommen werden, und nicht auf den einzelnen Fall hinzielend. Nur wenn er eine vorgängige und allgemeine Kenntnis der Seelsorge Christi mitbringt, wird er den Einzelfall im Lichte dieser Kenntnis lösen können. Und er soll diese Seelsorge des Herrn auch nicht in bezug auf sich selbst als Subjekt und Person betrachten und nach seinen vermeintlichen subjektiven Bedürfnissen auswählen. Er soll sich davon erfüllen lassen, auch wenn sie ihm im Augenblick nichts zu sagen scheint. Aus der Objektivität der Seelsorge des Herrn, die er in der Betrachtung kennenlernt, soll er nachher in der Begegnung mit den Menschen Persönlichkeit sein können. Und seine Objektivität wird den Bedürfnissen einer Gemeinde entsprechen, die nicht nur die Summe der Bedürfnisse gerade dieser einzelnen sind, sondern Bedürfnisse der Gemeinde als solcher, wie sie schon zur Zeit des Herrn bestanden haben. In der Gemeinde geschieht eine Reduktion vom Aktuellen zum Damaligen und Überzeitlichen.
Der Priester hat für die Betrachtung im allgemeinen weniger Zeit als der Ordensmann. Aber gerade deshalb sollte er langsamer betrachten. Seine Betrachtung sollte mehr bestimmte, einzelne Punkte umfassen und bei ihnen verweilen. Er sollte nicht in Bausch und Bogen, sondern Vers für Vers betrachten, Wort für Wort. Sich weniger Stoff vornehmen, daß desto mehr Spannung in sein Gebet hineinkomme. Je schneller er sein Brevier und sein übriges mündliches Gebet beten muß, desto bedächtiger sollte seine Kontemplation sein. Sonst würde das Ganze in ein überstürztes Tempo hineingerissen. Um in der Mitte zu bleiben, muß er beide Pole vereinigen. In beiden Gebetsarten steht er als Vertreter der Kirche vor Gott, und so sollte er beide Formen so weit erfüllen und ausschöpfen, als es ihm möglich ist.
Das Brevier muß innerhalb einer angemessenen Zeit gebetet werden, im Zeitmaß des Lesens und Rezitierens. Es bietet eine Fülle von Stoff, der sich teilweise oft wiederholt. Hier wird die rechte Erfassung des Stoffes gerade durch die Wiederholung gefördert. Der gleiche Psalm, immer wieder gebetet, wird jedesmal ein neues Gesicht aufweisen. Und weil er das Wort Gottes ist, wird sich diese Erneuerung nie erschöpfen. Immer wieder wird eine kleine oder eine größere Öffnung da sein. Und der Beter wird, im festgelegten Zeitmaß, in immer neue Dinge Gottes eingeführt. Da und dort blitzt ein Licht auf. Er wird dabei aber nicht verweilen. Er betet sein Brevier in einer Gemeinschaft mit allen Priestern. Und in jedem Breviergebet gibt es solches Aufblitzen, und die einzelnen Blitze bilden untereinander eine Einheit. In der Betrachtung aber hat er etwas erkannt, was keinem andern aufgegangen ist. In der Betrachtung wird mehr die Tat des einzelnen liegen, der für alle anderen betrachtet. Im Brevier ist es eher umgekehrt: die Summe der kleinen Erleuchtungen all derer, die diesen Psalm beten, kann zusammen eine gewisse Abrundung erhalten. Und so beten hier mehr alle für einen.
Das Breviergebet ist eine dem Priester auferlegte Zeit der Anbetung Gottes, die aus seinem übrigen Tagwerk heraussticht. Er wird ihr daher mit Vorteil schon äußerlich einen gewissen kontrastierenden Charakter geben: wenn er ein bewegtes Leben hat, wird er es vielleicht still sitzend beten, wenn er ständig unterwegs ist, im Zimmer, wenn er im Gegenteil ständig sitzt, sich draußen ergehend. Aber er wird darauf achten, daß ihn das Äußere im Gebet nicht stört. Das Aufundabgehen darf die Sammlung beeinträchtigen, das Sitzen keine bloße Bequemlichkeit sein, die das Gespräch mit Gott niederhält. Vom Äußern wird verlangt, daß es das Innere fördere, ohne Selbstzwecklichkeit; der Geist soll sich erholen und nicht der Leib seinen «Verdauungsspaziergang» machen.
Die Gebete, die täglich vorgelegt werden, sind in ihrer Auswahl ein Ausdruck des Willens der Kirche, die ihre Gründe hatte, das Brevier so und nicht anders zu gestalten. Der einzelne Beter hätte die Auswahl vielleicht anders getroffen; er hätte manche Psalmen weggelassen, hätte das Leben der Heiligen markanter erzählt, andere Stellen der Schriftlesung ausgewählt. Aber es soll ein Trost für ihn drin liegen, daß er sich im Breviergebet mit allen Priestern verbunden weiß, verbunden vor allem in Gott. Und daß es eine Hinlenkung des Geistes auf bestimmte Themen bezweckt, auch eine gewisse Überwindung einschließt, so daß alle, über ihre persönlichen Wünsche hinaus, sich in einer Art Opfer mit dem kirchlichen Thema befassen. Und während die Gebete in der Kirche von der Gemeinde mitaufgenommen werden, ist hier der Empfänger Gott allein. Es ist ein durch die Kirche geformtes Gespräch zwischen dem Priester und Gott, so daß der Priester im Breviergebet am klarsten seine kirchliche Gesinnung an den Tag legt.
Dann aber ist es auch ein Kontakt mit dem Wort der Offenbarung in einer von der Kirche bedachten Auswahl. Und man wird dem jungen Priester empfehlen können, seine Betrachtungstexte vor allem aus dem Brevier zu nehmen. Er wird dann seine Erfahrungen aus der Betrachtung beim Breviergebet fruchtbar machen können, insofern der Text nun stärkeres Relief bekommt. Ältere Priester werden vielleicht mit mehr Vorteil über Texte betrachten, die nicht im Brevier enthalten sind, um die Schrift vollständiger kennenzulernen und sich die ganze Fülle des Wortes Gottes anzueignen.
Die größte Gefahr im Brevier bilden die vielen Wiederholungen der bekanntesten Gebete: des Vaterunser, Ave, Credo, Gloria Patri usf. Bei dieser Wiederholung wird der Geist leicht ermüden. Und anderseits ist es doch eine richtige Wiederholung jedesmal auf neuer Stufe, wie eine Rückkehr, um besser zu verstehen, um neuen Schwung zu erhalten. Ähnlich wie man beim Turnen nach den schweren Übungen tief atmet oder ein paar entspannende Bewegungen macht. Eine Pause, die aber doch so stark von der vorhergehenden Betrachtung, vom persönlichen Beicht-Confiteor geladen ist, daß, wenn auch nicht jedes einzelne Wort bedacht ist, das Ganze doch eine Art Stimmungsinhalt besitzt. Die Gebetsstimmung kann Zäsuren der geistigen Erfassung und Anstrengung überbrücken.
Und selbst, wenn der Text immer wieder derselbe ist, bekannt und allzu bekannt, so hört doch Gott die Worte immer wieder neu. Es sind Worte seines Sohnes, Worte des Heiligen Geistes. Und Gott kann dem Beter eingeben, wie sie immer wieder neu und anders und mit einer besonderen Färbung gesagt werden können. Er soll daher im Brevier in einer Art Schwebe und Offenheit sein, wie sie der Unerschöpflichkeit des Wortes entspricht und der Macht Gottes, gerade jetzt etwas Neues zu zeigen. Behauptet dagegen der Beter von vornherein, zu wissen, was das Gebet enthält, so verschließt er sich und empfängt nichts. Es kann einer eine schon oft gehörte Erzählung wieder anhören in einer Bereitschaft, darin neue Seiten und Züge zu entdecken, oder in der Verschlossenheit dessen, der «ohnedies schon weiß»; für jenen wird die Erzählung spannend sein, für diesen langweilig. Der Priester muß im Brevier in einer Art Erwartung sein, was Gott ihm schenken wird. Aber dieser Zustand muß in einem Vergessen seiner selbst erreicht werden. Die kleinen Sorgen und Schmerzen des Alltags sollen draußen bleiben; sie werden durch das Brevier geklärt und geläutert, aber nicht indem man sie durchbetrachtet, sondern indem man sie zu Beginn, im ersten Vaterunser gesamthaft Gott übergibt, um ganz für ihn frei zu sein. In der Betrachtung ist es nicht unerlaubt, einen Stoff zu wählen, der meinem heutigen Zustand, meinen aktuellen Problemen angemessen ist, welche dann durch die Betrachtung in ein objektives Licht gerückt werden. Im Brevier dagegen ist das zu umgehen. Es ist ein vorgegebenes Gebet, jenseits der persönlichen Angelegenheiten. Nur in die Gebetsintention können diese hineinragen, nicht aber als eigenes Thema. Wenn Vianney, der im Apostolat Aufgeriebene, Zerstörte, sein Brevier betet, dann will Gott nicht den mit tausend Sorgen beladenen Mann vor sich sehen, sondern die ihm gehörende Seele, die er bearbeiten kann. Wenn ein Sünder beichtet, dann geht der Zuspruch von seinem subjektiven Sündenzustand als von einem Ausgangspunkt weg in die Objektivität des rechten Christseins hinein. Das Brevier bewegt sich von vornherein in dieser Objektivität. Gleich zu Beginn schüttelt man alles von sich, was die eigene Sünde und Unzulänglichkeit, die persönlichen Sorgen und apostolischen Interessen ausmacht. Und man ist nur noch Priester, amtlich vor Gott, wie in einem Nullpunkt der Erfahrung, der durch das Priesterdasein bedingten Schwankungen. Und man betet objektiv die Worte der Kirche – und daß ich sie bete, ist wie zufällig – Worte, die von der Kirche zu Gott gehen, damit Gott mich durch die Sachlichkeit des Gebetes in seiner persönlichen Weise bearbeiten kann, in einer sehr subjektiven Weise und Wirkung, die, wenigstens auf die Dauer, im Priester sichtbar werden wird.
Gott geht, um den Priester so zu behandeln, von seiner priesterlichen Berufung aus, von seinem Versuch, es ernstlich und recht zu machen, und er benützt dazu den Stoff des Breviers. Als der Jüngling beschloß, Priester zu werden, hatte er etwas Bestimmtes vor Augen. Jetzt ist er Priester, und die Realität entspricht nur teilweise dem einstigen Erwartungsbild. Es gibt eine objektive Spannung zwischen dem Priester-sein-wollen und dem Priester-sein. Es gibt auch eine subjektive Differenz, in der Weise, wie ich durch meine jeweilige Stimmung und Aufgelegtheit die wirklichen Dinge verschieden betrachte. Über all das hinaus gibt es auch eine Entsprechung: zwischen dem, was ich vom eigenen Priestertum weiß, und dem was ich wirklich bin. Und um diese Entsprechung geht es beim Brevier. Sie war in einer Art Reinheit bei meinem Entschluß zum Priestertum gegeben, als der Beruf in seiner ganzen Sachlichkeit vor mir stand. Auf diesen Augenblick greift Gott im Brevier zurück. Er nimmt mich, wie ich war, als ich alles wollte. Und was die späteren Jahre an Reife hinzutaten, war nur die Entfaltung jener ersten Übereinstimmung. Das immer bessere Verstehen und Verwirklichen dessen, was in der Forderung des Priestertums lag. Man sollte in einer Art Gleichmut und Unveränderlichkeit Brevier beten, die der Unveränderlichkeit Gottes gegenübersteht. Nicht auf die Veränderlichkeit und das Versagen der subjektiven Person kommt es jetzt an, sondern auf das Können dessen, der um dieses Könnens willen sein Amt erhalten hat, auf die Bereitschaft, die sich durch alles hindurchhält und die vielleicht unter vielem Schutt in der Reinheit des Anfangs hervorgeholt werden muß. Gott will den Priester in der Kindlichkeit seines ersten Priestertages.
Im Ausgangspunkt sind Bereitschaft zur Betrachtung und Bereitschaft zum Breviergebet gleich: ein völliges Nacktsein vor Gott. Dennoch wird in der Folge die Betrachtung viel subjektiver gefärbt sein. Man wird ganz auf Gott eingestellt sein. Ihm freilassen, sich zu offenbaren, wie er will. Aber man wird darauf mit seiner ganzen Person antworten, die man von Natur ist und durch die Gnade und den kirchlichen Stand geworden ist. Der Raum der Betrachtung füllt sich mit dem lebendigen Vorgang der Aufnahme des Wortes Gottes in die Seele. Der Raum des Breviers dagegen ist ganz ausgefüllt durch das Gebet der Kirche. Und der Beter soll sich so vollkommen wie möglich in dieses Gebet der Kirche einfügen. Er würde es durch die Einschaltung seiner Subjektivität nur stören.
Die Betrachtung ist wie Akt und Geburt, das Brevier ist wie die Schwangerschaft. Die gleiche Liebe eint alles. Im Akt der Empfängnis ist ein lebendiges Sichgegenüberstehen. Ein Sichhingeben und Entgegennehmen jetzt und hier. Und wenn der Mann weiß, wann er gibt, so weiß er doch nicht, an welchem Tag die Frucht in der Geburt aufgehen wird. Einmal ist die Zeit da, und die Mutter findet sich offen zur Geburt. Das Kind ist es, das heraus will, und die Mutter ist es, die gebiert. So wirkt sich die Potenz des Mannes im Kinde aus. Es ist das Trinitarische an der Geburt; denn Vater und Geist bestimmen die Stunde des Sohnes. Und in der Betrachtung steht der Beter dem Vater und dem Geist zur Verfügung. Er steht willig und gehorsam; und der Vater wird ihn auf etwas hinlenken, eine Tröstung, eine Einsicht, irgend etwas, was der Geist zu einem bestimmten Zeitpunkt aufgehen lassen wird. Die Schwangerschaft dagegen ist ein Zustand, in welchem das Weib schon empfangen hat, schon trägt und im Grunde keine neue Befruchtung erwartet, weil ihre Aufgabe jetzt eine andere ist. Sie soll ausharren, in ihrem Zustande verbleiben, auch wo er ein gewisses Odium enthält. Es braucht oft nicht wenig Liebe dazu, daß die Frau, geplagt von den Unannehmlichkeiten der Schwangerschaft, mit Dankbarkeit oder Begeisterung der Liebe gedenkt, die ihr das aufgebürdet hat. Und doch soll sie mitten in dieser Belastung aus ihrem Zustand etwas Schönes zu machen suchen. So soll auch der Priester, belastet mit seinem Brevier, daraus etwas Schönes machen. Auch er kann nichts wegnehmen oder hinzutun; alles ist vorgegeben und so zu nehmen, wie die Kirche es gibt. Es gibt nicht ein Brevier für große und eines für kleine Geister. Wie es nur eine Schwangerschaft gibt für Verliebte und Nicht-Verliebte. Aber es gibt eine Wirkung der Liebe auf die Schwangerschaft, in liebender Erinnerung an die Empfängnis trägt die Frau ihre Leiden, sich freuend, durch das Kind des Mannes Liebe erwidern zu dürfen. Des Priesters Brevier, das Forderung heißt, ist umklammert von der Betrachtung. Die akthafte Liebe Gottes in der Betrachtung hat ihn fixiert in den Zustand des Kirchengebetes. Aber dieses vertieft seine Kenntnis des Willens Gottes, seiner Absichten, des Zustandes, den er jetzt fordert, des Verharrens und Wiederholen-Könnens, solange er es verlangt, des Schönfindens des Wortes, weil es von ihm stammt, des Wissens darum, daß Gott jedes an ihn gerichtete Wort annimmt und gestaltet, wie es ihm beliebt. Und das alles befruchtet von neuem die Betrachtung des Priesters. All dies Unveränderliche, Vorgegebene macht ihn fähig, seiner Betrachtung immer ausgedehnteren Sinn zu geben und Gott gleichsam breiter zur Verfügung zu stehen. Wie denn auch die Frau dem Manne tiefer zur Verfügung steht, wenn sie die Schwangerschaft bereits kennt.
Es ist jetzt fast so, daß die Kontemplation des Breviers die Aktion der Betrachtung befruchtet; daß das Hingegensein des Schwangerschaftszustandes dem Akt der Liebe neues Relief gibt. Die Kontemplation ist zwar nicht in der Abfolge der einzelnen Brevierworte sichtbar, und dennoch ist sie der Kern des Breviers. Vielleicht mehr, weil das Breviergebet in die Kontemplation einüben muß, als daß diese in ihm voll enthüllt wäre. In der Zeit des Breviergebetes ist die Betrachtung wie ein Gefäß dafür angeboten, während in der Zeit der Betrachtung das Brevier zum Gefäß für sie wird. Dabei wird aber jedesmal die Ebene gewechselt. Beide stehen nicht in einer sich aufhebenden Wechselwirkung zueinander, ergeben auch nicht eine kontrollierbare Summe, sondern beleben einander außerhalb jeder Meßbarkeit. Einem angehenden Konvertiten empfiehlt man, gleichzeitig mehr die Heilige Schrift zu lesen und mehr zu beten; und beides wird sich wechselseitig befruchten. Das eine allein genügt nicht; es muß eine Spannung hergestellt werden. Eine Spannung wie zwischen Akt und Schwangerschaft, zwischen Saat und Ernte.
Die objektive Haltung im Brevier ist das, was die Betrachtung am meisten befruchtet. Und die Offenheit der Seele in der Betrachtung schenkt dem Breviergebet die rechte Objektivität. Zuletzt ist es eine Haltung, die sich auseinanderlegt und sich in sich selbst befruchtet, wie die Liebe nur eine ist, im Akt und im Alltag, und sich immer wieder auseinanderfaltet, um sich neu zu einen.
Die Predigt des Priesters ist seine Auslegung des Wortes für die Gemeinde. Auch sie ist, wie jeder rechte Umgang mit Gottes Wort, an einem innersten Punkt Gebet. Aber sie ist vor allem die Bemühung, das Wort zu verstehen und als Verstandenes der Gemeinde so zu vermitteln, daß sie in einer dauernden Weise Gott näher kommt. Die Predigt soll für die Gemeinde das sein, was die Betrachtung für den Priester. Wäre die Predigt nur eine Lektüre des Evangeliums oder die Wiedergabe einiger aus einem Buch abgeschriebener Gedanken, so wäre die Wirkung höchstens eine intellektuelle. Nur wenn sie aus dem Gebet stammt, Ausfluß der Kontemplation ist, führt sie auch die Hörer zum Gebet zurück. Nichts kann die Predigt mehr befruchten als das Gebet des Priesters und seine Betrachtung. Es gibt eine doppelte Wirkung der Betrachtung auf die Predigt. Die Betrachtung wird den Priester in der Gebetshaltung so festigen, daß seine Haltung auf der Kanzel gar keine andere sein kann, als eine betende: ein Stehen vor Gott und ein Lauschen auf ihn. Auch dort, wo er selber redet, wird das Hören und das Sichführenlassen durch Gottes Wort die Hauptsache sein. So wäre die Betrachtung in die Predigt mitgenommen und in ihr wirksam. Aber der Priester soll auch seine Predigt in die Betrachtung mitnehmen. Er soll sich nicht darauf beschränken, nachzuschlagen, was in Büchern über den Text vorhanden ist, Einteilungen zu machen und Beispiele zusammenzusuchen; er soll vor allem über den Texten beten. Er wird dabei eingedenk sein, dass nicht er, sondern die Gemeinde Hörer seines Wortes sein wird. Er wird sich daher hüten, sich selbst und seine Gebetsübungen und Gewohnheiten in die Gemeinde hineinzuspiegeln, der Gemeinde einfach die Frucht seiner persönlichen Betrachtung vorzusetzen, er wird vielmehr schon in der Betrachtung mit der Gemeinde zusammen das Wort zu hören versuchen. Nicht, um das Wort von vornherein so zurechtzulegen, anzupassen, daß es verflacht würde, sondern das Wort zu einem Gebetswort der Gemeinde werden zu lassen. Die Gemeinde muß es als das für sie gesprochene und bestimmte Wort Gottes erleben. Dann aber muß der Priester es zuvor als ein echter Hörer als für ihn bestimmt aufgenommen haben, in seiner Funktion als Seelsorger, in einer Einheit des Hörens mit der Gemeinde zusammen. Nicht, um gleichsam einen Vorsprung zu haben und gewisse Effekte vorbereiten zu können, sondern um durch sein Gebet den Boden gelockert zu haben und die Gemeinde in eine Gebetshaltung dem Wort gegenüber einzuführen.
Das Wort des Evangeliums und der Schrift ist ein von Gott dem Menschen geschenktes Wort. Dieses Wort genügt, um sich selbst auszulegen. Betrachtung des Wortes und Predigt des Wortes sollen daher innerhalb des Wortes sich ereignen. Es wäre anmaßend, unter dem Vorwand, modern sein zu müssen, den ganzen Jargon der Zeit in die Offenbarung hineinzulassen, um ihr «aufzuhelfen», als wäre sie an sich arm und nichtssagend und bedürfe für den heutigen Menschen einer bestimmten Kostümierung und Aufbesserung. Das Leben des Christen, wie die Schrift es beschreibt und fordert, ist sein Leben vor Gott, sein irdisches Leben in seiner Verbindung mit Gott und in seinem Suchen nach Gott. Und der Christ soll lernen, dieses sein Leben im Licht Gottes und deshalb im Licht des ihm von Gott geschenkten Wortes zu betrachten. Eine Gemeinde, die mit künstlich der Neuzeit angepaßten Reden bearbeitet würde, weil die Schlichtheit des Wortes Gottes dem Priester nicht mehr kraftvoll genug erscheint, würde von Gott weggeführt, statt ihm genähert zu werden. In jedem Vergleich, den der Prediger braucht, sollte die Achtung vor dem Worte Gottes spürbar sein, die innere Verwandtschaft der Atmosphäre mit derjenigen der Schrift, die Möglichkeit, innerhalb des Gebetes verwendet zu werden.
Es gibt weniges, was die Gebetsgemeinschaft zwischen dem Priester und seiner Gemeinde so fördert wie die Predigt. Wenn der Hörer spürt, daß der Priester aus dem Geist des Gebetes predigt, wenn er selbst durch sein Wort zum Gebet angeregt wird, weil er dem gehörten Wort in sich Gültigkeit geben will, dann wird er naturgemäß auch mehr für seinen Seelsorger beten. Das Gebetsgeschenk, das der Priester durch seine Betrachtung des Wortes der Gemeinde macht, kommt ihm in Dankbarkeit aus der Gemeinde zurück. Und dieser persönliche Gebetsaustausch ist das, was das Amt des Priesters unter den Laien stärkt. Die Laien wissen genau, daß sie für dieses Amt beten müssen. Ihm kommt es zugute.
Der Priester kann bei seiner Predigt die Gemeinde nicht an seinem ganzen Gebetsleben teilnehmen lassen, so wenig er seine ganze Betrachtung in sein Breviergebet einbeziehen kann. Beim Brevier wie bei der Predigt gibt es einen gewissen Rhythmus, ein Voranmachen, und somit das Treffen einer Auswahl. Diese Auswahl fordert nun zwar eine bestimmte Prägung und Umrissenheit der Gedanken, damit das Gesagte richtig aufgefaßt werden kann. Es schadet aber gar nichts, wenn diese Begrenzung des Stoffes und der Aussagen nicht allzu strikt durchgeführt wird, wenn vielmehr Öffnungen und Ausblicke nach allen Seiten hin frei werden, die den Hörer anregen, weiterzudenken, Unerledigtes mit nach Hause zu nehmen, ähnlich wie der Priester aus der Fülle des Breviers gewisse Worte behält und mit sich nimmt, um sie zu überlegen oder einfach in seiner Seele Wurzel schlagen zu lassen.
Es ist nicht von ungefähr, daß die Predigt mitten in der heiligen Messe steht. Denn in der Messe liegt der Mittelpunkt des christlichen Lebens, sowohl für den Priester wie für die Gemeinde. Sie ist der Ausdruck der Kraft des Gebetes, jener Kraft, die Gott selber dem Gebet verliehen hat, indem er erlaubte, daß auf das Gebetswort der Kirche hin sein Sohn in den Gestalten von Brot und Wein neu erscheine, sein Sohn, der das göttliche Wort ist, neues Leben auf Erden erhalte. Wenn der Christ betet, dann weiß er, daß Gott ihn hört und sein Gebetswort aufnimmt. Aber Gott hört ihn in seinem Sohn, den er täglich in der Wandlung der Welt neu hingibt, leibhaftig in Fleisch und Blut. Hier schenkt Gott täglich neuen Zugang zu ihm, und von hier aus wird jedes Gebet neu belebt und befruchtet. Alle Begegnung mit Gott lebt von dieser zentralen, immer neu gewährten Begegnung.
Wenn der Priester die Messe liest, dann weiß er, daß er vor dem Herrn steht, ihn in der Kommunion empfangen und der Gemeinde weitergeben darf. Und der Herr vertraut sich ihm an, weil er sich dem Herrn anvertraut hat. Es kann sein, daß der Priester überall seiner eigenen Schwäche begegnet, vielleicht geplagt und verfolgt wird vom Gedanken seiner Unwürdigkeit. Und daß er diese Unwürdigkeit zusammenfaßt im «Domine, non sum dignus». Aber sofort antwortet der Herr darauf mit seiner Gegenwart und seiner vollen Hingabe. Alles Versagen, Nicht-Können, alles Unvermögen wird vom Herrn übernommen und wie vergessen und verziehen im Augenblick, da er trotz allem erscheint, um dem Priester die Belohnung seiner Eucharistie zu schenken, ihm immer wieder neu zu vertrauen und sich ihm anzuvertrauen, weil er in ihm über alle Fehler hinaus doch überall Zeichen seiner Treue und Liebe sieht. Es ergeht dem Priester wie einem Künstler, der Tag und Nacht über einem Werk sitzt, aber es wird und wird nicht, alles ist mangelhaft, aber im Augenblick, da er überzeugt ist, er werde es niemals zuwege bringen, wird es ihm plötzlich geschenkt, und das Werk ist da. Nur ist das Werk in der heiligen Messe eben ganz und gar Gottes Werk. Aber Gottes Werk im Priester und für ihn. Er weiß in der Messe, daß sein Gott es tut. Und er hat in der Messe die Gewähr dafür, daß jedes Gebet erhört wird, daß jedes Wort Gottes lebt, und zwar nicht vom Leben des Menschen, sondern vom Leben des Herrn. Alles übrige Gebet des Priesters ist ja Zeichen seines Opfers, seines dem Herrn gegebenen Lebens, und der Herr ist da und nimmt auf und hört und steht zur Verfügung. Aber das Zeichen seines Daseins und Hörens ist seine Eucharistie, seine Liebe im Opferzustand der heiligen Messe. Dieser Opferzustand ist aber nicht unabhängig vom Gebet des Priesters, da dieses Gebet in seinem höchsten Punkt, bei der Wandlung, gerade diesen Zustand des Herrn immer neu hervorruft. Von diesem Punkt aus, der die Evidenz der Erhörung selbst ist – da Gott seinem Wort sofort gehorcht und willfahrt – wird die Erhörung jedes Gebetes evident. Das Gebet des Priesters ist aufgenommen in den Herrn und mit dem Gebet des Priesters zusammen das Gebet der Gemeinde, der Gemeinschaft aller Glaubenden.
In der täglichen heiligen Messe erlebt der Priester immer neu die Ankunft des Herrn und in seinem Kommen das Je-neu-werden nicht nur seines Leibes, sondern auch des Gebetes. Es gibt eine Art Übernahme der Kirchengebete in der Messe durch den Herrn, bei welcher er auch den Gebeten die Fülle seines Seins verleiht. Er ist nicht nur gegenwärtig, um verteilt zu werden, er ist auch da, um zu verteilen. In seinem Verteiltwerden liegt die Verteilung der Gnaden: der Glaubensgnaden, der Gebetsgnaden usf. Und die gleichen Worte, die vielleicht am Abend eines Tages als ein mattes, kraftloses Gebet erschienen, werden am Altar vor dem Herrn von der Kraft seines Wesens durchpulst. Die ganze Realität des Herrn stellt sich hinter dieses Gebet und erfüllt es. Und im Glauben weiß und fühlt das der Priester. Das Vaterunser in der Messe ist nicht nur das seine oder das der Gemeinde, es ist zugleich das Vaterunser des Sohnes vor dem Vater, der Sohn betet es am Altar und der Priester ist der, der sich an diesem Gebet des Sohnes zum Vater beteiligen darf. Und er hört dieses Gebet so, wie der Sohn es damals auf Erden ausgesprochen hat. Als er den Seinen sagte: «Betet also», da lud er sie ein, an seinem Gebet teilzunehmen. Er gab ihnen nicht nur Weisungen, er gab ihnen etwas vom ewigen, dreieinigen Beten Gottes selbst. Und die Wirklichkeit dieser Teilnahme wird in der Messe neu gegenwärtig. Der Priester kann sie nicht übersehen, er muß sie in Betracht ziehen, er muß sein Gebet im Gebete des Sohnes aufgehen lassen. Die Messe ist kein bloßes «Andachtsgebet», sondern ein Gebet, das zum Inhalt und zur Gegenwart das Gebet des Sohnes hat. Es ist mehr als menschliches, sogar mehr als kirchliches Gebet. Dieses Gebet hat eine Dimension, eine Realität, die das Gebet außerhalb der Messe nicht hat.
Und so geschieht hier für den Priester eine Art Überwältigung. Sein mündliches Beten, seine Betrachtung und sein Brevier gehören ihm viel mehr an, auch wenn die Texte des Breviergebetes festgelegt sind. Es sind Gebete, die ihre Substanz irgendwie aus dem Menschen, aus seinem Glauben entnehmen. Die Bereitschaft, die Öffnung zu Gott, die sich darin ereignet, kann der Betende irgendwie bestimmen und übersehen. In der Messe aber ist durch die Gegenwart des Herrn alles in eine ganz andere Strömung hineingerissen. Jetzt ist der Herr leibhaftig gegenwärtig, und sein Dasein überglänzt alles. Er hat sich mir in die Hände gelegt zur Opferung, zur Verteilung: was ich tue, was ich bin, ist nur noch eine Funktion seines Tuns und Seins, und ich fühle mich überströmt von einer alles erfüllenden Dankbarkeit. Alle Mühen des Tages und auch die Mühe des Gebetes sind wie weggehoben, alle Eintönigkeit ist verschwunden. Und vielleicht ist die Danksagung von allen Gebeten des Tages das am meisten gestammelte. Man kann nichts anderes sagen als Danke, jedes formulierte Gebet widersteht einem, man kann nur danken und sich hingeben. Und je mehr man dankt, um so mehr sieht man ein, wie groß die Gnade ist und wie nichtzählend das Eigene. Im Breviergebet weiß sich der Priester in Kommunion mit allen übrigen Priestern. In der Betrachtung weiß er sich in einer Gemeinschaft mit seiner Herde. Bei den sakramentalen Gebeten ist diese Gemeinschaft verwirklicht. In der Danksagung nach der Messe ist jeder Bezug aufgehoben, jede Zweckmäßigkeit. Es ist reine Anbetung ohne andern Grund, als daß er den Herrn empfangen hat und nun Dank sagen muß für alles zusammen, was der Herr ihm durch sein Kommen schenkt und was seinen Alltag und seine Widerwärtigkeit einschließt für sein ganzes Priesterleben, das in diesem Kommen des Herrn begründet ist.
Wenn der Herr in der Eucharistie erscheint, dann kann man nicht sagen, wie groß er ist. Die kleine Hostie, die man sieht, verbirgt sein unendliches Sein. Vom Nichts der Hostie bis zu dieser Unendlichkeit gibt es keinen Übergang, sondern nur einen Umschlag und ein reines Überwältigtwerden. Eben diesen Umschlag erlebt der Priester in der Danksagung, in der er seine ganze priesterliche Existenz zusammenfaßt. Er, der Nichtige, der Elende nimmt doch teil an den unendlichen Geheimnissen. Und es ist ihm fast, als sei er nur noch eine Gestalt, nur noch ein Symbol, wie Brot und Wein, dahinter sich Untrennbares verbirgt. Auch das Amt des Priestertums ist etwas Klares, Scharfumrissenes, obwohl der Mensch, der es hat, diesen Raum nie erfüllt. Aber in der Danksagung gibt es keine Umrisse mehr. Auch in der Betrachtung ist alles offen: man überläßt es Gott, was er geben will: Trost oder Trockenheit, fühlbare Antwort oder keine, oder etwas zwischendrin. Aber man weiß, daß alles, was Gott gibt, eine Bestimmung hat. Eine Erleuchtung muß ins Leben umgesetzt werden, muß der künftigen Predigt dienen. In der Betrachtung liegt noch eine gewisse Arbeit. In der Danksagung dagegen herrscht das reine Umsonst, die «gratia gratis data».
Adrienne von Speyr
Original title
Priesterliches Leben aus dem Gebet
Get
Labels
Specifications
Language:
German
Original language:
GermanPublisher:
Saint John PublicationsYear:
2024Type:
Article