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Über den Gehorsam in den Weltgemeinschaften
Referat beim Internationalen Kongress der Säkularinstitute 1970
In den Weltgemeinschaften sollen die evangelischen Räte auf eine besondere, aber nicht auf eine verminderte Weise gelebt werden. Deshalb muß bei allen Fragen der Anpassung an ihre besondere Lage der Blick immer scharf auf das unveränderliche Urbild alles Rätelebens, Jesus Christus, und auf seine Kirche, sofern sie seine makellose Braut ist, ausgerichtet sein. Nicht kanonistische Begriffe und Unterscheidungen können der absolute Ausgangspunkt sein, weil solche gegenüber der Offenbarungswirklichkeit sekundär und subsidiär sind, auch nicht asketische, psychologische und soziologische Erwägungen, denn zuerst ist gefragt, was Gott vom Menschen will, und erst in zweiter Linie, wie dieser Heilswille Gottes uns antrifft, uns fördert, und wie er in dieser oder jener geschichtlichen Situation auszulegen ist. Der Blick auf die Urdaten der Offenbarung gibt uns, gerade für die evangelischen Räte, den Fixpunkt, nach dem sich alle variablen, theoretischen und praktischen Fragestellungen immer wieder auszurichten haben. Wir betrachten deshalb: 1. den Gehorsam Christi als Urgrund unseres Gehorsams; 2. den wahren Gehorsam der Kirche gegenüber ihrem Herrn; 3. den Gehorsam, sofern er ein evangelischer Rat ist; wir übergehen dabei seine Ausgestaltung in monastischen und apostolischen Orden und beschränken uns auf seine Struktur in den Weltgemeinschaften.
Der 1. und 2. Punkt können hier natürlich nur kurz und andeutungsweise behandelt werden. Ich bitte um Entschuldigung und um Verständnis, wenn ob der Kürze manches nicht die erwünschte volle Klarheit gewinnt. Aber die vorgetragenen Gedanken könnten als Anlaß zu weiteren Überlegungen dienen; ich erachte sie als unentbehrlich zu einem vollen Verständnis unseres engeren Themas. Schicken wir schließlich dem Ganzen voraus, daß christlicher Gehorsam nur pneumatisch, das heißt im Heiligen Geist der Freiheit und Liebe Gottes gelebt und verstanden werden kann, auch dort, wo er institutionelle und rechtliche Formen annimmt.
1. Der Gehorsam Christi
Vier Merkmale kennzeichnen den Gehorsam Christi als einzigartig, aber seine Gnade erlaubt uns und ermöglicht es uns trotzdem, daran teilzunehmen und ihn nachzuahmen.
a) Im Gegensatz zu allen andern Menschen ist Jesu Menschwerdung selbst (und dann jeder Akt seines Lebens) Funktion eines freien Gehorsamsaktes des präexistenten Gottessohnes gegenüber dem Vater (Phil 2,6ff.). Wir blicken hier im Glauben in das Mysterium der Trinität, und erfahren, daß die ewige Liebe des Sohnes zum Vater im Heiligen Geist die Form des Sichsendenlassens und somit eines göttlichen Gehorsams annimmt. In der Trinität sind die Personen gleichrangig, ihre Lebensakte sind identisch, trotzdem ist die Ordnung der Hervorgänge der Personen real; in Gott vertragen sich also, sehr menschlich gesprochen, ein «demokratisches» und ein «hierarchisches» Element. Wird nun der Sohn aus Liebe zum Vater und um die Liebe des Vaters zur Welt darzustellen und die Welt mit Gott zu versöhnen, Mensch, so ist sein gesamter Existenzakt reine Verfügbarkeit zum Heilswillen Gottes (oboedientia antecedens). Am Mysterium dieser Verfügbarkeit erhalten die Christen durch die Taufe, aber aufgrund besonderer Berufung und Weihe im Räteleben durch die Gnade Anteil.
b) Die Menschwerdung ist aktiv Werk des Heiligen Geistes (der Sohn läßt sich Mensch werden), und der Geist wird Jesus immerfort in seinem freien Liebesgehorsam führen und inspirieren. Das ist wichtig, weil der Geist im Leben Jesu nicht primär als die subjektive innergöttliche Intimität zwischen Vater und Sohn auftritt, sondern als die objektivierte und aktuelle Präsentierung des väterlichen Willens, und zwar in einer doppelten Gestalt: einmal (ähnlich wie bei den Propheten) als Eingebung und Auftrag unmittelbar von oben, sodann als das dem Sohn im Gesetz und in den Verheißungen in irdischer, geprägter Form Vorgegebene: beidem muß der Sohn in Einheit genügen. Analog muß ein Mitglied einer Weltgemeinschaft gleichzeitig den Forderungen der geistlichen Regel und der weltlichen Situation zu entsprechen versuchen. Auch der Mensch Jesus betet immer wieder zum Vater, diesen doppelten Auftrag in der Einheit ausführen zu können.
c) Jesus zeigt in seiner Existenz eine völlige Identität zwischen Gehorsam an den Vater und Übernahme persönlicher Verantwortung bei der Durchführung seiner Aufgabe. Auch diese Identität wurzelt im Geheimnis der Trinität. Wenn wir uns in der Nachfolge Christi um diese schwierige Identität bemühen, wollen wir uns bewusst bleiben, daß keine rein menschliche Asketik und Psychologie sie erreicht, sondern unsere Eingliederung in Christus und ein Leben aus der heiligenden Gnade die Voraussetzung dafür ist. Für Jesus gilt einerseits: «Der Sohn kann nichts aus sich selbst tun, sondern nur was er den Vater tun sieht… der Vater liebt den Sohn und zeigt ihm alles, was er tut» (Jo 5,19f.), anderseits übergibt der Vater dem Sohn «das ganze Gericht» (5,22), ja er gibt ihm die Möglichkeit, «das Leben in sich selbst zu haben» (5,26), somit in eigener Verantwortung den himmlischen Willen des Vaters in die irdische Welt und ihre Situationen zu übersetzen. Und gerade weil der Sohn dem väterlichen Willen grenzenlos hingegeben ist, kann er dem Vater gegenüber auch seinen eigenen Willen anmelden: «Vater, ich will…» (Jo 17,24; vgl. 11,41f.).
d) Zielpunkt des Lebens Jesu aber bleibt das Kreuz: das Tragen der gesamten Sünde der Welt. Er schreitet in freier Liebe auf die Stunde des Vaters zu, aber die Last dieser Stunde bleibt für seine Menschennatur absolute Überforderung. Um dieser Stunde willen ist er gekommen, er hat sie frei gewollt. Aber bestehen kann er sie nur in der Nacht des Gehorsams, der rein geschehen läßt, was kein Mensch positiv wollen kann («wenn es möglich ist, gehe dieser Kelch vorüber»), ja im Gefühl der Verlassenheit vom Vater, was zugleich besagt, daß er den Sinn des Auftrags in der Nacht nicht mehr sehen kann (vgl. Johannes vom Kreuz). Es gibt auch im christlichen Gehorsam zuweilen Momente, wo wir etwas von diesem Höhepunkt des Gehorsams Jesu ahnungsweise erfahren dürfen; und vergessen wir nicht, daß die Welt letztlich nicht durch Worte, Taten, Wunder, sondern durch das Kreuz mit Gott versöhnt wurde (Gal 3,10ff.; Eph 2,14ff.; Phil 2,8ff.; Kol 2,14ff.). Vom Kreuz her erhält alles übrige seine durchschlagende Bedeutung (vgl. Hebräerbrief).
2. Der Gehorsam der Kirche
a) Noch bevor die Kirche ein sozial organisiertes «Volk Gottes» mit einer Ämter- und Charismenstruktur wird, ist sie Leib und Braut Christi, von ihm «gewaschen» und geheiligt, mit seinem Geist und seiner Gesinnung aufs innigste vereint. Diese scheinbar «ideale» Kirche ist immer vorweg schon real in Maria, die in besonderer Begnadung den Geist absoluter Verfügbarkeit zum dreieinigen Gott erhalten hat: ecce ancilla. In ihr gibt es keinerlei Dualismus zwischen Gebot und Rat, zwischen Freiheit und Gehorsam, zwischen göttlichem Auftrag und eigener Verantwortung. Deshalb kann und darf sie auch – in Kana – ihren eigenen Willen äußern (so wie Jesus dem Vater gegenüber), denn sie wird ihn sogleich wieder dem Willen Jesu einfügen: «Tut alles, was er euch sagen wird» (Jo 2,5). Ihr Gehorsam ist immer ein überlassender, damit sie mit der richtigen Spontaneität reagieren kann (Lk 1,29; 2,19.51). Er ist trotzdem, wie der des Sohnes, ein menschlich überforderter, oft nicht verstehender (Lk 2,50; vgl. Mt 12,48), der zuletzt mit ans Kreuz geführt wird.
Nah bei diesem Zentrum der Kirche stehen alle wahrhaft heiligen Glieder der Kirche, die, in welcher kirchlichen Lebensform auch immer, ihren Willen in Liebe, Entsagung, Gebet dem göttlichen Willen ganz zu einen vermochten.
b) Jeder Christ, der bewusst den Glauben annimmt und die Taufe empfängt, entschließt sich frei, seine Haltung grundsätzlich mit der innersten Haltung der heiligen Kirche zu identifizieren, und sich über seine persönlichen Widerstände hinweg von der Kirche zu dieser ihrer Gesinnung hin erziehen und läutern zu lassen. Um diesen Abstand zwischen voller Konformität mit dem Willen Gottes und der heiligen Kirche und meinem immer wieder rebellierenden Sünderwillen zu überbrücken, sind den Christen zunächst die ministerielle Hierarchie, Schrift und Sakrament, Predigt und Seelsorge angeboten. Beachten wir hier, daß die Struktur der Kirche wieder ein Abbild der trinitarischen Einheit zwischen Gleichheit (Demokratie) und Ordnung (Hierarchie) ist: alle in der Kirche sind Brüder, unter diesen aber gibt es den Dienst, der seine Autorität von Christus herleitet und ihn repräsentiert. Die Einheit beider Aspekte tritt z.B. in den Korintherbriefen klar hervor, wo der Apostel kraft hierarchischer Vollmacht Entscheidungen trifft, aber in diese das Einverständnis der Gemeinde hineinnimmt, indem er an ihr besseres Wissen appelliert, das vorhanden sein sollte und das er zugleich ermahnend aufweckt. Ebenso sagt der 1. Johannesbrief, die Christen wüßten und verstünden alles, aber der Brief ist trotzdem nicht überflüssig. So muß kirchliche Autorität immer wieder verdeutlichen, was die Kirche und ihre Glieder «eigentlich» wissen, was jeder Christ als Glaubender implizit und in Freiheit bejaht, und zwar nicht in Uniformität, sondern gemäß der Vielfalt der Charismen, deren Einheit in der kirchlichen Liebe gelebt werden soll. Aber wie unwirksam bleiben diese kirchlichen Strukturen allermeist, wie entfernt bleiben die meisten Christen von dem Bewusstsein, daß sie ihr persönliches Glaubensleben aus dem kirchlichen heiligen Geist des Gehorsams an Christus und an Gott gestalten sollten! Wie oft verdunkelt die empirische Kirche den Zugang zum Verständnis der makellosen Kirche! Wie äußerlich, wie problematisch auseinandergespannt bleiben sich Christ und Kirche, gerade heute im Zeitalter der Kontestation und des «schöpferischen Ungehorsams»!
Hier tritt die Bedeutung des Rätelebens hervor, das für den einzelnen Christen die Gesinnung Christi und der heiligen Kirche in einer von Christus begründeten, von der Kirche vielfach ausgestalten Lebensform unausweichlich nah und konkret werden läßt.
3. Der Rat des Gehorsams, vor allem in den Weltgemeinschaften
Über Armut und Jungfräulichkeit haben wir hier nicht mehr zu handeln, auch nicht über die Vielheit der Formen, wie die Räte gelebt worden sind, sondern ausschließlich über den Gehorsam und seine besondere Ausprägung in den Weltgemeinschaften. Man sollte aber die seit dem Mittelalter formulierte, schon früher praktisch gelebte Doktrin nicht bestreiten, daß die drei Räte einander innerlich ergänzen und fordern, so, daß je aus dem einen die beiden andern sich organisch ableiten lassen und Ausdruck der Weihe sind.
Man sollte ferner nicht immer wieder bestreiten, daß der Rat des Gehorsams im Neuen Testament grundgelegt ist. Denn zweifellos haben die ersten Jünger, die auf Jesu Geheiß hin alles verlassen haben und ihm nachgefolgt sind, ihn noch nicht als den Sohn Gottes im strengen Sinn erkennen können; er war für sie ein mit göttlicher Autorität ausgestatteter Mensch, dem man «an Gottes Statt» gehorchen durfte und sollte (vgl. Heinz Schürmann, Der Jüngerkreis Jesu als Zeichen für Israel und als Urbild des kirchlichen Rätestandes, «Geist und Leben», 36 [1963], 21-35). Man sieht ferner, wie die Gehilfen Pauli ihm mit ihrer ganzen Existenz zur Verfügung stehen und von ihm eingesetzt werden, wo er sie gerade braucht.
Wenn später die Kirche Regeln von Orden und andern Gemeinschaften approbiert und dabei die geistliche Autorität ihrer Vorgesetzten anerkennt, so geschieht es jeweils in Anerkennung eines Wehens des Geistes, der innerhalb der großen Kirche ein kleineres, intensiveres und wirksameres Modell erweckt, an dem Christen in den Gehorsamsgeist Christi und der heiligen Kirche eingeübt werden sollen. Und weil Christus nur als ein Demütiger und Gehorsamer Befehle erteilt, weil gleichfalls die Kirche glaubhafte Autorität nur im Demutsgeist Christi ausübt, deshalb kann in allen Formen des Rätestandes das Befehlen wie das Gehorchen nur im Geist gemeinsamen kirchlichen Gehorsams an Christus erfolgen. Wieder durchdringen sich das demokratische und das hierarchische Moment. Der Befehlende soll ein geistlicher Mensch sein, nach Möglichkeit angeglichen der Gesinnung Christi und der heiligen Kirche; der Untergebene aber soll seinen eigenen Gehorsam nicht nach dem Grad der Vollkommenheit seines Obern abstufen, denn dieser konkretisiert für ihn bloß die Regel, die auf die Gesinnung Christi und der heiligen Kirche verweist.
Und nun zum Gehorsam in den Weltgemeinschaften.
In einer Weltgemeinschaft ist das Mitglied für Gott und sein Reich durch evangelische Räte engagiert, indem es in einem weltlichen Beruf dauernde Verantwortung übernommen hat. Wie verhält sich diese Verantwortung zum Gehorsam in der Gemeinschaft und deren Vertretern gegenüber? Bevor wir zu antworten versuchen, wollen wir zwei Folgerungen aus dem bisher Gesagten ausdrücklich mitnehmen. 1) Bei Christus und auch bei der heiligen Kirche gibt es keine Spannung, keinen Gegensatz zwischen Gehorsam und eigener Verantwortung. In der Sendung des Sohnes durch den Vater, in der Sendung der Apostel durch den Sohn liegt beides völlig ineinander. Was immer der Sohn unter Einsatz aller Kräfte seiner menschlichen Erfindungs- und Gestaltungskraft unternimmt, tut er auf Antrieb des Geistes, um den Willen des Vaters zu erfüllen. 2) Bei Christus und auch bei der heiligen Kirche gibt es deshalb keine Begrenzung der Disponibilität. In jeder Situation verfügt der Vater im Geist über den ganzen Sohn, und der Sohn verfügt im Geist in jeder Situation über alles Tun und Lassen seines Apostels.
Von hier lassen sich für die Weltgemeinschaften fünf Leitsätze aufstellen. Sie können, je nach dem Charisma einer Gemeinschaft, in verschiedenen Modalitäten angewendet werden. Die Leitsätze wollen also nur als allgemeine Rahmenbestimmungen aufgefaßt sein, die im übrigen große Freiheit lassen.
a) Wer aufgrund einer besonderen Berufung Gottes im Räteleben in den besonderen Dienst Christi und seines Reiches tritt, stellt ihm – im Geist der heiligen Kirche – sein ganzes Leben, das geistliche wie das weltliche, zur Verfügung. Der Hingabe (oder «Weihe») Akt, in dem das geschieht, umgreift also auch seinen weltlichen Beruf und verleiht diesem, auch wenn er äußerlich unverändert bleibt, eine neue Qualität, da sie ihn auf eine intimere Weise, als es in der Taufe geschieht, in den innersten Raum der Beziehung Christus-Kirche hineinstellt, welcher der ursprünglich sakramentale Raum ist. Die «Weihe» ist kein Einzelsakrament, aber der Geweihte stellt freiwillig und ausdrücklich seine Existenz in das Ursakrament und will von dorther den Sinn seines Lebens bestimmt sein lassen. (Deshalb kann man die «Weihe» quasi-sakramental nennen).
b) Der Weiheakt erfolgt nun aber wesentlich innerhalb einer die heilige Kirche konkretisierenden Gemeinschaft, die ein echtes, gemeinschaftliches, die Glieder übergreifendes und in sich einbergendes Charisma besitzt. Wird das nicht betont, so kann bei Weltgemeinschaften der Eindruck entstehen, die Gemeinschaft sei weiter nichts als eine Koordinationsstelle, die für die hinreichende Ausbildung und den geistlichen Fortschritt der einzelnen Mitglieder zu sorgen hat, also ganz in ihrem Dienst steht und nichts Wesentliches von ihnen erwarten darf. Das ist theologisch falsch. Hat die Gemeinschaft als solche ein echtes, die Kirche konkretisierendes Charisma, dann ist das Mitglied bei all seiner «Säkularität» verpflichtet, sich immer neu nach diesem Charisma auszurichten und sich ihm anzugleichen.
Das besondere Charisma erhält seinen Ausdruck in der Regel; aber damit diese nicht Buchstabe bleibe, sondern lebendiger Geist sei, braucht es die persönliche Begegnung des Mitglieds im Geist der Regel mit den andern Mitgliedern und mit den Verantwortlichen insbesondere. Diese sind beauftragt, dafür zu sorgen, daß das Mitglied sowohl in seinem geistlichen Leben (Gebet, Abtötung, Demut, Liebesgeist) wie in der Ausübung seines Berufes dem lebendigen kirchlichen Geist der Gemeinschaft treu bleibt und ihm immer angeglichener wird. Echter Rätegehorsam kommt hier unabgeschwächt zum Zuge, auch wenn er, wie immer, im Geist brüderlicher Liebe, gegenseitiger Offenheit und Vertrauens, sich ereignen soll.
c) Der Gehorsam gegenüber den Verantwortlichen wird als bezüglich des Berufes überall dort aktuell, wo im Beruf der Geist Christi, der heiligen Kirche, der Räte und des Charismas der Gemeinschaft auf dem Spiel steht. Wäre ein Mitglied an seinem Posten selber schwer gefährdet, oder käme der Geist der Gemeinschaft in seiner Arbeit nicht mehr zum Ausdruck, so könnte der Vorgesetzte – nach hinreichender Information, Beratung und brüderlicher Aussprache – das Mitglied zur Änderung seines Postens, im Extremfall vielleicht auch seines Berufes veranlassen. In solchen Situationen wird es wichtig sein, daß der Betroffene sich nicht auf sein persönliches Charisma, seine persönliche Sendung versteift, sondern an die in der «Weihe» gemeinte totale Disponibilität denkt. Er bedenke auch, wie groß heutzutage die Beweglichkeit im Berufsleben geworden ist: trotz der steigenden Spezialisierung werden z.B. in großen Betrieben die Menschen ohne weiteres von einer Abteilung in eine andere versetzt, oder ein Diplomat von einem Land ins andere usw. Über diese natürliche Betrachtung hinaus muß jeder bedenken, daß das Räteleben ein solches des Verzichtes und der Selbstverleugnung ist, und zwar nicht bloß durch erhöhten Eifer in der Berufsausübung, sondern auch und noch mehr durch die Verdemütigungen, die ihn in seinem Eigenwillen treffen. Gerade in Weltgemeinschaften findet man leicht Vorwände, sich gegen solche heilsame Erziehung zum Kreuz abzuschirmen.
d) Bei jung Eintretenden, die ihren Beruf noch nicht gewählt haben, wird es angemessen sein, daß die Berufswahl nicht ohne eingehende offene Besprechung mit den Verantwortlichen oder wenigstens mit erfahrenen Mitgliedern der Gemeinschaft erfolgt. Übt dagegen das eintretende Mitglied seinen Beruf schon aus, so wird dieser nur in Ausnahmefällen in Frage zu stellen sein, vielmehr wird der Verantwortliche dafür sorgen, daß der Beruf fortan im Geist voller Disponibilität zu den Bedürfnissen des Reiches Gottes und mit Übernahme aller damit verbundenen Verantwortung ausgeübt wird. Falls die Zusammensetzung der Gemeinschaft es erlaubte, wäre es sehr nützlich, wenn in ihr für die wichtigsten Fachgebiete kompetente Berater zur Verfügung stehen; dies entlastet überdies die Obern davon, sich mit Berufsfragen zu befassen, in denen sie wenig oder nicht zuständig sind. Bei wichtigeren beruflichen Entscheidungen wird das Mitglied sich beraten lassen, nicht um die eigene Verantwortung auf andere abzuschieben, sondern um sicher zu gehen, daß es im Geist der Gemeinschaft handelt.
e) Soweit als möglich sollte auch die Gemeinschaft als ganze für jeden Einzelnen hilfreich und vorbildlich sein. Nach Paulus sollten ja alle einander gehorchen (Phil 2,3; Eph 5,21). Weltgemeinschaften sollten soviel Gemeinschaftsleben beibehalten, daß jeder an dieser Wohltat teilbekommt. Das schließt natürlich nicht aus, daß jeder auch und vornehmlich in seiner weltlichen Umgebung so viel als möglich aus der Begegnung mit den Menschen zu lernen sucht, d.h. im Heiligen Geist die dauernde Disponibilität bewahrt, in jeder konkreten Situation, auch Ungläubigen gegenüber, sich im Sinne Christi und der heiligen Kirche zu bewähren, sich auch belehren, anregen, erbauen zu lassen.
Damit sind gewiß längst nicht alle praktischen Fragen berührt oder gar gelöst. Aber wir konnten wenigstens feststellen, daß die Fragen im christlichen Geist eigentlich immer lösbar sind. Wo vielleicht juristische Regelungen versagen, da hilft der Geist der Liebe und der Verfügbarkeit weiter, der alle, die Verantwortlichen und die übrigen, in der gleichen Gesinnung eint. Und wir haben vor allem gesehen, daß der Gehorsam in den Weltgemeinschaften theologisch betrachtet keineswegs ein Stiefkind am Rande des Rätestandes ist, sondern daß gerade diese Form des Gehorsams mit den zentralen Geheimnissen der christlichen Offenbarung aufs beste zusammenstimmt.
Hans Urs von Balthasar
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