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Theologie und Heiligkeit
Theologie kann, vom Evangelium aus betrachtet, nichts anderes sein als eine Form der Zeugnisablegung der gesendeten Christen für ihren sendenden Herrn, Christus, so wie dieser nichts anderes ist und sein will als der «treue Zeuge» (Apk 1,5) Dessen, der ihn gesandt hat. Zu solcher Zeugenschaft aber bedarf es im Fall Christi wie der Christen einer auf den Auftrag zur Wahrheitsverkündigung ausgerichteten Heiligung.
Wir betrachten
1. die Heiligung des Sohnes Gottes zu seiner «Auslegung» (exegesis Joh 1,18) des Vaters, also zur ursprünglichen Rede Gottes von Gott (theo-logia);
2. die Heiligung der Jünger Jesu, um Zeugen seiner Auslegung Gottes sein zu können;
3. welche innere Form christliche Theologie haben muß, um diese Zeugenschaft fortzusetzen.
I
Jesus weiß sich als der einzige authentische Ausleger Gottes, den er seinen Vater nennt: «Niemand kennt den Vater als der Sohn und wem der Sohn es offenbaren will» (Mt 11,27). «Niemand hat Gott je gesehen, der eingeborene Gott, der zum Schoß des Vaters hingekehrt ist, der (allein) hat ihn ausgelegt» (Joh 1,18). Er allein ist die Türe, wer nicht durch sie zu Gott eingeht, stiehlt und raubt sich etwas, das ihm nicht gehört (Joh 10,8). Dieser Anspruch begründet sich daher, daß er vom Ursprung, vor Grundlegung der Welt, her immer schon das Wort, die Selbstaussage und Selbstdarstellung des Vaters war (Joh 1,1-2) und damit die Ermöglichung jeder zu erschaffenden Welt, die nicht Gott ist, die aber durch und für das Wort Gottes besteht: «alles hat in ihm seinen Bestand» (Kol 1,17). Welt in all ihren Formen und Dimensionen ist ein Hinweis auf diese Selbstaussage Gottes, sie ist wie ein Wegzeiger, der den Vernunftbegabten die rechte Richtung auf Gott zeigt (Röm 1,20). Da aber diese Vernunftbegabten diesen Hinweis nicht wahrnehmen, sondern ihrem Besserwissen folgen wollen und sich verirren, sandte Gott seinen Sohn und Ausleger für die Welt, in Menschengestalt, um Gottes ewige Selbstauslegung für sie in menschlich verständliche Sprache zu übersetzen. Dieser Sohn, immer schon Gottes Wort (theos legōn und legomenos), ist als einziger fähig, in der «Gestalt des Knechtes» (Phil 2,7) eine adäquate und damit normative Auslegung Gottes zu geben. Genau aus diesem Grund nennt er sich «die Wahrheit» (Joh 14,6). Sein Geheimnis, das er bei Johannes immerfort erklärt, besteht darin, daß er als Mensch nichts anderes ist als das Wort, die Stimme des Vaters: «Meine Botschaft ist nicht die meine, sondern die Dessen, der mich gesandt hat» (Joh 7,16).
Damit diese Transposition von der innergöttlichen Selbstaussage in seiner weltlichen gelinge, sind zwei Dinge erfordert, die innig zusammengehören. Einmal die Übertragung der ewigen Bereitschaft des göttlichen Sohnes, nichts anders zu sein als die vollkommene Selbstaussage des Vaters in die entsprechende menschliche (und damit kreatürliche) Haltung: sich so zu «entleeren», daß das menschliche Ich Jesu reine Bereitschaft, reiner Gehorsam ist (Phil 2,6-8) zur Durchgabe und Darstellung des väterlichen Seins und Willens. Und dies in seinem ganzen Menschsein, das viel mehr ist als bloßes Reden und Lehren, vielmehr ein «Sein zum Tode», in Freude und Leid, Arbeit und Müdigkeit, Einsatz und Überdruß, Wachen und Schlafen, schließlich Bereitschaft zu einem gewaltsamen Tod, und gemäß der Macht des Vaters auch zur Erweckung aus dem Tod. Alles das ist ebensosehr wie Jesu Reden (und auch Wunderwirken) Ausdruck Gottes. Das lauteste Wort, das der Vater in Jesus gesprochen hat, war – nach Nikolaus von Kues – sein Verstummen im Tod. Daß aber ein Menschendasein adäquate Selbstauslegung Gottes werden konnte, dazu mußte ihm der Geist Gottes verliehen werden: dieser Geist war es, der die Menschwerdung des zu allem bereiten Sohnes besorgte (Lk 1,35), der ihn bei der Taufe zur Sendung ausrüstete und sein ganzes Wirken bis ins Leiden lenkte, so, daß er den Geist «ohne Maß» in sich besaß (Joh 3,34), der ihm zugleich den Willen des «heiligen Vaters» (Joh 17,11) immerfort zutrug. Darin ist schon das zweite sichtbar: Jesus ist zu seiner Weltsendung «geheiligt», aufgrund seines Sohnesgehorsams mit dem Heiligen Geist ausgestattet, der als der ewige Geist des Vaters wie des Sohnes die Transposition des göttlichen in menschliches «Wort» verbürgt.
Heiligung Jesu erfolgt somit auf seine Sendung hin. «Dürft ihr», fragt Jesus die Juden, «von dem, den der Vater geheiligt und in die Welt gesandt hat, sagen: Du lästerst, weil ich gesagt habe: Gottes Sohn bin ich?» (Joh 10,36). Es gab Vorstufen zu solcher «Heiligung» im Alten Testament bei Prophetensendungen, zunächst im Sinn einer Weihe: «Ehe du aus dem Mutterschoß kamst, habe ich dich geweiht» (die Septuaginta übersetzt «geheiligt»), dich zum Propheten für die Völker bestimmt (Jer 1,5, aufgenommen in Sir 49,7). Weihe im alttestamentlichen Sinn ist zunächst Aussonderung für Gott und für seine Zwecke, zumal auch für ein Gott darzubringendes Opfer. Und nun greift Jesus diesen Sinn auf und erhebt ihn weit über die alttestamentliche Bedeutung hinaus in seinem großen Gebet an den Vater. Er bittet zunächst für die Jünger: «Heilige sie in der Wahrheit: Dein Wort ist Wahrheit. Wie du mich in die Welt gesandt hast, so habe auch ich sie in die Welt gesandt. Und für sie heilige ich mich, damit auch sie in (der) Wahrheit geheiligt seien» (Joh 17,17-19). Wenn hier der schon geheiligte Sohn um die Heiligung seiner Jünger bittet, so geschieht es, wie bei ihm selbst, im Kontext ihrer Sendung, um für die Wahrheit Zeugnis abzulegen, und damit dies erreicht werde, spricht er von seiner eigenen, jetzt von ihm getätigten Heiligung, die im Zusammenhang nichts anderes bedeuten kann als seine für sie (hyper) vollzogene Selbsthingabe in den Tod, seine Selbstopferung. Wenn im Alten Bund der Terminius «Heiligung» sowohl für die zu schlachtenden Opfertiere wie auch für die zum Dienst Gottes zu weihenden Priester verwendet wird, so ist hier Christus, der sich selbst Heiligende, Priester und Opfer zugleich. Er besiegelt damit nur ausdrücklich, was in seiner Sendung als der «treue Zeuge» immer schon lag: das «vor Grundlegung der Welt ausersehene unbefleckte Lamm», das durch sein «kostbares Blut» (1 Petr 1,19f.) die Welt entsühnt, aber jetzt insbesondere auch seine Jünger zu gesendeten Zeugen «heiligt». Und dies «in der Wahrheit», das heißt in der Offenbarungsbeziehung zwischen Vater und Sohn, innerhalb welcher allein ein wahres Zeugnis, somit eine wahre Theologie bestehen kann.1
Noch auf etwas ist hier hinzuweisen: auf die alles Offenbarungsgeschehen durchwaltende Freiheit. Sie herrscht souverän in Gott, der weder in seinem Wesen noch in seiner Dreifaltigkeit irgendeiner ihn beherrschenden Notwendigkeit unterliegt, wenn auch seine Freiheit nichts mit Willkür zu tun hat. Frei ist des Sohnes Menschwerdung (Anselm von Canterbury betont immer wieder, daß der Sohn sponte, aus eigener Freiheit Mensch wird, gehorsam ist, ans Kreuz geht).
«Ich habe die Macht, mein Leben hinzugeben», auch dann, wenn das Erfüllung des «Auftrags» des Vaters ist, «ich gebe es freiwillig hin» (Joh 10,18). So hat er auch die Freiheit, die Wege und Worte zu wählen, die ihm zur Auslegung Gottes am geeignetsten scheinen. «Wo der Geist des Herrn (Christi) ist, da ist Freiheit» (2 Kor 3,17): dies gilt in erster Linie für Christus selbst. Daß Freiheit in ihm zusammenfallen kann mit Gehorsam, ist das Paradox, das in seinem göttlichen Wesen liegt: in Gott «befiehlt» keine Person der andern, dem Sohn aber entspricht es, dadurch er selbst zu sein, daß er sich für jeden Wunsch des Vaters bereithält, während es dem Wesen des Vaters entspricht, dem Sohn die Weise zu überlassen, wie er die dreieinigen Beschlüsse Gottes ausführen will, dem Geist aber, die freie Einheit der Freiheit des Vaters und der des Sohnes zu sein. Wenn also Christus in seinem Leben, Sterben und Auferstehen die Liebe des Vaters zur Welt (Joh 3,16) erschöpfend darstellt, erfüllt er kein «wissenschaftliches» Gesetz oder Postulat, sondern wird in seinem Sprechen als Gott und von Gott zum personalen Archetyp alles dessen, was dem Sprechen seiner Zeugen Richtigkeit (rectitudo) geben wird.
II
«Heiligung für Sendung» wird von Christus ausdrücklich für seine Jünger erbeten und nach Ostern von ihm selber souverän verfügt, wobei Sendung als Vollmachtsverleihung und Übergabe des Heiligen Geistes nochmals zusammenfallen (Joh 20,21-22). Der der Kirche verliehene Geist ist zugleich Heiligungsgeist und Sendungsgeist; jeder, der sich zur Kirche Christi rechnet, muß auf seine besondere Weise zugleich Heiliger und Zeuge sein, alle paulinischen und kanonischen Briefe und am deutlichsten vielleicht die Apokalypse bestätigen es. Dabei ist klar, daß, wenn die Christen «Heilige» genannt werden, sie es primär alle durch Gott und seine Sakramente, aber unmittelbar nachfolgend durch ihre entsprechende Lebensweise sind; und daß, wenn sie alle «Zeugen» heißen, es viele existentielle Weisen der Zeugenschaft gibt, zum Beispiel auch einen «Wandel ohne Wort» (1 Petr 3,1), der wirksamer sein kann als alle Worte, «redet aber einer, so rede er wie Worte Gottes» (1 Petr 4,11), nämlich gemäß dem durch Christus vorgegebenen Wort Gottes, dessen «Diener» er ist (Apg 6,3).
Die Spezifizierung eines der Charismen oder einer der Zeugnisformen zum «Reden», Lehren, Auslegen des Wortes und Willens Gottes (in «Prophetie») ist somit nicht etwas, das einer sich selber auswählt, sondern was ihm zugeteilt wird: vom Geist, «der jedem das Eigene zuteilt, wie er will» (1 Kor 12,11). «Sind etwa alle Lehrer?» (und damit Theologen?) (ebd. 12,29). Ist es aber einer, so wird ihm stets das unteilbar Ganze des Zeugnisses Christi von Gott für sein eigenes Zeugnis zugeteilt: «Lehrt sie alles halten, was ich euch aufgetragen habe» (Mt 28,20). Völlig ausgeschlossen ist somit eine Zeugnisablage, eine Verkündigung, Katechese, Predigt, die nach eigenem Gutdünken einen Teil der Gesamtwahrheit herausnimmt, etwa unter dem Vorwand, die Hörer seien zur Aufnahme von mehr nicht fähig, es «komme bei ihnen nicht an» oder sei nicht mehr «zeitgemäß». Solche Zeugen würden sich täuschen: denn jedes Wesenselement der christlichen Wahrheit gehört notwendig zu deren Integrität, streicht man einzelne Wesensmomente weg, so wird das Ganze mit Sicherheit uneinsichtig und unglaubhaft, und ein solcher Zeuge wird damit notwendig zu «schalem Salz», er «taugt zu nichts mehr», wird rechtens von den Leuten zertreten (Mt 5,13). Ein Zeuge, der an dem, was er zu bezeugen hat, Kritik übt, ist in seinem Selbstwiderspruch überhaupt nicht mehr Zeuge.
Die Kraft eines christlichen Zeugnisses besteht nicht in der «Überredungskunst» nach «Menschenweisheit» (1 Kor 2,4f.), es kann «im Gefühl der Schwachheit, mit Furcht und Zagen» (ebd. 3) vorgetragen werden und «der Rhetorik unkundig» sein (2 Kor 11,6). Der Bezeugende kann als «schwächlich» beurteilt werden (2 Kor 13,4) und zeigt darin nur, daß er an der Schwachheit des Gekreuzigten teilhat, er kann als «unbewährt» erscheinen (ebd. 5ff.), wie Christus als ein Unbewährter verworfen wurde, aber gerade in dieser Schwachheit wird sich die höhere Kraft des Auferstandenen durchsetzen. Nur durch Ablehnung, ja Verfolgung hindurch können Zeugen Christi hoffen, daß Gott durch sie einen Erfolg für sein Reich erzielt. Christus hat ihnen dies alles aufs genaueste vorausgesagt, was sie einfach in seine Nachfolge als Zeugen stellt, «damit ihr euch, wenn die Stunde kommt, daran erinnert, daß ich es euch gesagt habe» (Joh 16,4).
Wie Christus als Zeuge des Vaters alles vermieden hat, was nach Gewaltanwendung oder nach Reklame, Propaganda, Werbungskampagne aussah, so soll auch das Zeugnis der «Heiligen», für das Zeugnis Geheiligten sich all dieser weltlichen Mittel enthalten. Alles, was in der Kirchengeschichte sich solcher Mittel bediente, muß bedauert und bereut werden. Es gibt für den Christen keine andere Werbung als die möglichst totale Zeugnisablage, und je reiner sie ist, um so mehr Wirkung wird sie – durch Gottes Gnade, nicht durch natürliche Überzeugungskraft – ausüben.
Dies läßt sich ohne weiteres aus der Geschichte des Christentums und seiner Theologie ablesen. Zunächst, als Grundlage, nochmals die für jeden christlichen Zeugen geltende Wahrheit: Wenn das, was er bezeugt, der eine und unvergleichliche Zeuge Gottes, seines Vaters, ist, dessen zentrales Zeugnis in seiner Ganzhingabe, seinem Kreuzestod abgelegt wurde, dann kann dies von einem Christen nicht anders als mit der Bereitschaft zur selben Ganzhingabe bezeugt werden, mit Einschluß also des Ernstfalls, in dem Zeugnis (martyrion) durch den Einsatz des Lebens, durch Martyrium also, abgelegt wird. Der christliche Zeuge setzt sein Leben nicht für eine Idee, ein Programm usf. ein, sondern für den Zeugen schlechthin, der mit seinem Blut bezeugt hat, daß «Gott die Liebe» ist – was anders gar nicht bezeugbar gewesen wäre.2 Wenn nun ein solcher Zeuge Christi das Charisma des «Lehrers» oder der «Prophetie» (das heißt der Aussage dessen, was der Gott Christi hier und heute meint) erhalten hat, dann wird seine Gott-Rede (Theologie) notwendig und analytisch die innere Form der Lebensweihe zur Ganzhingabe in sich tragen, um vor der Welt glaubhaft zu sein und, wenn Gott will, seine Glaubwürdigkeit durch die Zeiten hindurch beizubehalten. Und vielleicht wird das Ausmaß seines Lebenseinsatzes als Zeuge fruchtbarer sein als gewisse Beschränktheiten seiner Formulierungen und Mängel, die man ihm wegen der Ganzheit seiner Zeugenschaft gerne verzeiht. Nennen wir für das letztere ein paar Beispiele: Origenes, Augustinus, Pascal, Kierkegaard, Bernanos. Außer Origenes ist keiner von diesen gemartert worden, und doch spürt jeder, der sich mit ihnen beschäftigt, daß sie alle mit ihrem Herzblut bezeugt und theologisiert haben und daß ein blutiges Martyrium für sie imgrunde nur eine fast selbstverständliche Form gewesen wäre, ihr Lebenszeugnis abzuschließen. Maximus Confessor beweist dies aufs genaueste. Und wenn wir zu den genannten andere Namen hinzufügen von Zeugen, deren Theo-logie wahrhaft das Leben der Kirche befruchtet haben – etwa Irenäus, Athanasius, Anselm, Bernhard, Franz, Bonaventura, Thomas, Ignatius (dessen «Exerzitien» eine Fülle ungehobener theologischer Schätze enthalten) bis zu Newman –‚ so wird überdeutlich, daß nur «Theologie» als die Einheit von Heiligkeit und Zeugnis im Leben der Kirche diesen Namen verdient. Gewiß bedient sich bei diesen Großen (viele andere wären zu nennen) der Heilige Geist einer natürlichen Genialität, die kleineren Geistern fehlt, obschon sie sich ebenso ernsthaft für das Bezeugte einsetzen, aber es wäre verkehrt, ihre kirchliche Wirkung von dieser natürlichen Genialität abhängig zu machen, statt von ihrer (kanonisierten oder nicht kanonisierten) Heiligkeit.
III
Alles bisher Gesagte könnte, wenn man die Vielfalt und das komplizierte Geflecht konkreter Theologie betrachtet, als reichlich naiv erscheinen. Lassen wir einmal den ganzen Kranz von Wissenschaften beiseite, die die Vorhöfe der Theologie umlagern: Profangeschichte, Archäologie, Kultur- und Sittengeschichte, Philologie (sowohl der Bibel wie anderer mit ihr in Beziehung stehender Dokumente), Sprach- und Ausdruckswissenschaft usf., und zielen wir auf das zentrale Problem: Können wir das apostolische (urkirchliche) Zeugnis über das Zeugnis Jesu ohne Kritik und damit ohne jede Distanzierung und epochē einfach zum unsrigen machen? Ist nicht eine Hermeneutik der überlieferten Dokumente, der Vorbau einer exegetischen Wissenschaft, völlig unverzichtbar? Verfallen wir ohne diese Kritik nicht dem, was jeder einigermaßen theologisch Gebildete mit einer Dosis Verachtung als «Fundamentalismus» bezeichnet?
Die Frage befriedigend zu beantworten, bedürfte es eines Buches; hier müssen ein paar Grundaussagen genügen.
1. Wo eine Wissenschaft, die sich als Theologie bezeichnet, aufhört, in der Nachfolge des apostolischen Zeugnisses, und damit in der Sendung Jesu und der sie tragenden Heiligkeit, zu sein, hat sie aufgehört, für den kirchlichen Glauben belangvoll zu sein. Ob das Charisma «Lehrer» oder «Prophet» mit dem Epitheton «Wissenschaft» beehrt wird oder nicht (es erhält diese Bezeichnung erst spät und nicht ohne tiefgehende Gefährdung ihres Wesens), ist für das Leben der glaubenden Kirche gleichgültig. Wenn Heidegger der Philosophie (durchaus mit Recht) den Titel «Wissenschaft» (was man heute durchschnittlich darunter versteht) absprach, könnte man ihn mit ebensoviel und vielleicht noch mehr Recht der sogenannten Theologie absprechen. Daß der Zeuge «jederzeit Rechenschaft» über sein Zeugnis und damit über seinen Glauben muß ablegen können, fordert der Petrusbrief (1 Petr 3,15). Darum nennt Thomas die Theologie «argumentativa» (d.h. beweisend), fügt aber hinzu, ein Disput mit einem Gegner sei nur sinnvoll, «wenn dieser etwas von dem zugibt, was durch göttliche Offenbarung feststeht, … wenn er aber nichts von dem göttlich Geoffenbarten glaubt, dann bleibt kein Weg übrig, die Glaubensartikel durch Gründe zu beweisen, höchstens jene Gründe, die der Gegner allenfalls gegen den Glauben anführt, zu widerlegen». Freilich, fährt Thomas fort, «verwendet die heilige Lehre auch die menschliche Vernunft, nicht um den Glauben zu beweisen, … sondern um einiges, was in dieser Lehre überliefert wird, zu verdeutlichen».
Aber «diese Lehre argumentiert nicht, um ihre Prinzipien zu beweisen, nämlich die Glaubensartikel» (S. Th. I 1, 8). Letzteres bleibt schlechthin grundlegend. Thomas bezeichnet als «Glaubensartikel» die Aussagen des Credo, den in der Urkirche formulierten Kern des zu Glaubenden (regula fidei), den nicht hinterfragbaren Inhalt christlichen Glaubens und Zeugnisses. Diese «Artikel» haben ihre Evidenz nicht «aus dem natürlichen Licht der menschlichen Vernunft, sondern aus dem Licht des göttlichen Wissens, das nicht irren kann» (ebd. a 5) und aus dem Zeugnis Christi unmittelbar ins Zeugnis der Kirche übergegangen ist.
2. Das Lebenszeugnis Jesu ist, als Auslegung Gottes, von so unerschöpflichem Reichtum, daß er selber es ausdrücklich dem Heiligen Geist überläßt, diese Fülle auszudeuten, von Pfingsten an in Verkündigung, Lehre und Schriften der Apostel und Evangelisten, die, nach Jesu Wort, den normativen Anfang einer unabsehbaren, stets lebendigen Auslegung des ursprünglichen Faktums durch den Heiligen Geist bilden: «Er wird von dem Meinigen nehmen und es euch künden. Alles, was der Vater hat, ist mein» (Joh 16,13). Von diesem normativen Anfang, der die Fülle der Offenbarung schon organisch (wenn auch nicht menschlich überblickbar: vier Evangelien!) auseinanderfaltet, kann nichts weggestrichen werden, ohne daß das ursprüngliche Zeugnis verlassen, zumindest verarmt wird. Häresien haben ausgewählt oder sind an einem Punkt der Auslegung stehengeblieben: hier kann und muß «argumentiert» werden.
3. Wenn Christus sein Zeugnisamt der Kirche weitergibt, dann gibt er ihr notwendig sich selbst, das heißt weit mehr, als was Menschen in persönlicher Nachfolge auffassen können. Deshalb ist die Kirche ein Raum christologischer Heiligkeit, die objektiv (vor allem in den Sakramenten, in der Unbeirrbarkeit ihrer Leitung) jede Summe subjektiver Heiligkeit der Glaubenszeugen übertrifft. Je mehr deshalb ein subjektiv-heiliger Zeuge oder Theologe sich aus der objektiven (christologischen und schließlich trinitarischen) in die Kirche gelegten Heiligkeit nährt – Origenes sprach hier von einer «anima ecclesiastica» – desto besser und fruchtbarer wird sein theologisches Zeugnis sein. Innerhalb der Versuche, die regula fidei je besser zu verstehen (aber immer auf dem Fundament des Glaubens), ist sehr viel Raum für Diskussion und Kritik an theologischen Meinungen und Hypothesen. Jedoch muß davor gewarnt werden, innerhalb der grundlegenden Artikel eine hierarchia veritatum aufzustellen; ihr gegenüber kann man immer fragen: Welche Glaubenswahrheiten stellen Sie auf die unterste Stufe, halten sie praktisch für entbehrlich? Man kann dann plötzlich entdecken, daß wer einen Stein aus der Mauer herausbricht, das Ganze einstürzen sieht. Beispiel: «conceptus de Spiritu Sancto» könnte entbehrlich scheinen, doch wer Jesus zum Sohn Josephs erklärt, wird mit Sicherheit beim Adoptianismus landen und damit auch das Grunddogma der Trinität (immanent und ökonomisch) wie das der Soteriologie (des «pro nobis» im Credo) preisgeben. Was bleibt dann vom apostolischen Zeugnis noch übrig?
4. Die in Christus und in der Kirche bezeugte Offenbarungswirklichkeit ist geschichtlich; wäre sie es nicht, dann erreichte sie den in der Geschichte lebenden und sterbenden Menschen nicht. Sie wäre (Irenäus sah das schon gegen die Gnostiker) geringer als er: eine bloße Idee. Aber die in Christus erschienene und gewirkte Offenbarung Gottes ist, mit Anselm zu sprechen: «id quo maius cogitari nequit»: das unausdenkbar Größte. Und zwar gerade deshalb, weil sie auf dem Boden der fließenden Geschichte das Höchste und Heiligste darzustellen vermocht hat: nur in der Hingabe des Sohnes bis zum Kreuz (bis zur Auf-sich-Nahme der Sünde: 2 Kor 5,20) erbringt Gott den Beweis, daß er der Dreimal-Heilige deshalb ist, weil er nicht nur liebt, sondern die substantielle Liebe ist. Keine Weltanschauung oder Religion kann damit konkurrieren, und weil Christus die menschgewordene demütige Liebe ist und es ein «Leben in Christus» gibt, kann auch kein Anlauf zur Heiligkeit die Demut echter christlicher Heiligkeit einholen.
- Ignace de la Potterie, Consécration ou sanctification du chrétien, in: Le sacré (Ed. E. Castelli). Paris 1971, S. 333-349.↩
- Dazu die kurze, aber zentrale Betrachtung von Bischof Klaus Hemmerle: «Wahrheit und Zeugnis», in: Theologie als Wissenschaft (Quaestiones Disputatae 45). Freiburg 1970, S. 54-72. Von demselben: Theologie als Nachfolge (über Bonaventura). Freiburg 1975.↩
Hans Urs von Balthasar
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Theologie und Heiligkeit
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