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Die johanneischen Themen in der Regel St. Benedikts und ihre Aktualität
Referat auf der Tagung der monastischen Oberen in Paris am 6. Dezember 1974
Das Thema der folgenden Überlegungen, die Ihnen vorzulegen ich die Ehre habe, kam mir in den Sinn, als ich feststellte, daß in der Benediktusregel, neben mehr als 60 Zitaten aus den synoptischen Evangelien und ungefähr 45 aus den Paulusbriefen, das Johannes-Evangelium nur fünfmal, die Johannesbriefe dreimal und die Apokalypse einmal zitiert werden. Diese ausdrücklichen Zitate finden sich schon in der Magister-Regel. Von den Hauptzitaten wird überdies dasjenige vom «Guten Hirten» (RB 27,8) nur dazu benutzt, um eine viel ausführlichere Anspielung auf Lk 15 («relictis nonaginta novem» [«er läßt die neunundneunzig in der Steppe zurück»]) einzuleiten. Eine andere, entscheidende Stelle, die sich auf den Gehorsam Christi bezieht (Joh 6,38: «Non veni facere voluntatem meam sed eius qui misit me» [«ich bin nicht gekommen, meinen Willen zu tun, sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat»] zweimal: RB 5,13 und 7,32, jedoch nach D. Vogüé ein «richtiger Gemeinplatz» der Tradition, der in der Magister-Regel viermal zitiert wird), erhält im Abschnitt über die dritte Demutsstufe eine paulinische Parallele: *«factus oboediens usque ad mortem»* [«gehorsam geworden bis zum Tode»] und scheint also nicht auf etwas spezifisch Johanneisches hinzudeuten. Und schließlich könnte die dritte Stelle, die sich auf die Unterscheidung der Geister bezieht, die den Postulanten gegenüber angewandt werden soll – «Probate spiritus si ex Deo sunt» [«prüfet die Geister, ob sie aus Gott sind»] (1 Joh 4,1), mühelos durch ein entsprechendes Pauluswort ersetzt werden.
Wie erklärt sich diese erstaunliche Lücke? Ist das vierte Evangelium dem Geist St. Benedikts fremd? Aber wiederholen wir es: Alle Johannes-Zitate stammen aus der Magisterregel, die Benedikt weitgehend gekürzt hat. Die Mehrzahl der 25 johanneischen Zitate des Magisters finden sich in den von Benedikt ausgelassenen Stellen. Vom Magister mit seiner Starre und seinem minutiösen und geschlossenen aszetischen System könnte man noch annehmen, er stehe dem johanneischen Geist ziemlich fern, für den die Liebe zu Gott und zu den Brüdern das einzige Gesetz des christlichen Lebens ist.
Ich möchte aber zeigen, daß diese erste Annäherung täuscht. Vor allem deswegen, weil das System der Magister-Regel ein in sich geschlossenes ist und die Tendenz hat, Offenbarung und Schrift in sich einzufangen; die Benediktusregel dagegen ist völlig offen zur ganzen Hl. Schrift hin, deren vollständige Kenntnis vorausgesetzt und immer wieder gefordert wird (RB 9,8; 11,12; 42,4; 48,1.15; 53,9; 73,3).
Eine Regel, die gelebt werden soll, ist etwas ganz anderes als ein Abklatsch des Evangeliums. Man könnte sie vielmehr mit einem Drehbuch vergleichen, das keinen eigenen literarischen Wert hat, aber das Mittel ist, ein Stück zum Leben zu bringen. Und in unserem Fall ist das Stück das gelebte Evangelium, das Leben des Jüngers, die Nachahmung Christi. Man sollte sich davor hüten, die Regel mit dem Gesetz zu vergleichen, damit droht der Rückfall ins Alte Testament (das ist der Vorwurf, den die Protestanten den Ordensleuten machen). Die Regel ist vielmehr eine Hilfe (vom Hl. Geist der Kirche geschenkt und durch die Kirche dem Christen), den Jünger in der Liebe zu bewahren, im Ernst der freien, totalen Übergabe seiner selbst. Ein Spalier, das uns zwingt, höher zu steigen und mehr Früchte zu bringen, anstatt am Boden zu kriechen.
Das ist besonders beeindruckend, wenn wir die strenge Regel des Pachomius aufschlagen. Sie ist jeder Poesie bar, fast ohne pneumatischen Akzent. Seine Briefe aber und die Fragmente der Katechesen zeigen uns einen ganz anderen Mann: Die Hinweise auf die Bibel mehren sich, wie auch die Hinweise auf das Beispiel der «Heiligen», d. h. die großen Gestalten des Alten und Neuen Testaments. Das Gleiche gilt für seine Nachfolger Theodor und Horsiesius. Das Pachomianische Kloster, das – allein nach der Regel beurteilt – als eine Art Kaserne erscheint, ist in Wirklichkeit eine «heilige koinônia» [«Communio»], belebt durch die Liebe und die gegenseitige brüderliche Auferbauung. «Sei ein Herz mit deinem Bruder» (Pachomius, Katechesen: Lefort 2). «Das Gebot: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst, steht über allen Anordnungen, und wir schulden es unserem Herrn, es zu erfüllen», sagt Theodor (Katechesen: Lefort 62).
Leider besitzen wir kein katechetisches Werk Benedikts, aber es ist nicht zu leugnen, daß er sich im ganzen katechetischen Teil seines Werkes dem Magister anvertraut, der selbst in seiner langen Einführung eher die Tendenz hat, die paränetischen Stellen der Bibel auszuschöpfen und damit seine Regel zu schmücken.
Freilich gibt es den zunächst erstaunlichen Fall «Sancti patris nostri Basilii» [«unseres heiligen Vaters Basilius»] (RB 73,5), auf den Benedikt so ausdrücklich verweist: bei Basilius gibt es – anfänglich – keine Unterscheidung zwischen Evangelium und Regel, vielmehr den kühnen Versuch, die lebendige Regel christlichen Lebens im biblischen Text selbst zu sehen. In den «Moralischen Regeln» häufen sich die Johannes-Zitate1. Aber diese Regeln sind nicht für Mönche geschrieben, sondern vielmehr für eifrige Christen in der Welt. Als sich dann später verschiedene Gruppen zu bilden begannen, ist es Basilius nicht mehr gelungen (auch in seinen «Großen Regeln» nicht), eine Regel zu formulieren, die jener des Pachomius, Cassians, des Magisters und Benedikts vergleichbar wäre.
Schließlich wird auch im weiteren Verlauf der Benediktusregel der Einfluß des Hl. Augustinus immer spürbarer. Die Betonung wird auf die brüderliche Liebe gelegt und im zweiten Kapitel über den Abt (RB 64) auf die Liebe des guten Hirten, auf das «prodesse magis quam praeesse» [«mehr nützen als vorstehen»]. «Studeat plus amari quam timeri» [«er trachte, mehr geliebt als gefürchtet zu werden»], «et semper superexaltet misericordiam judicio» [«und immer sei sein Erbarmen größer als sein Richten»]. Ohne daß sich ausdrückliche Zitate von Johannes erheben lassen, durchdringt doch eine johanneische Atmosphäre die ganze Regel, vor allem gegen Ende.
Um den Geist St. Benedikts tiefer zu erfassen, wenden wir uns nochmals dem letzten – so entscheidenden – Kapitel der Regel zu. Hier geschieht die volle Öffnung hin zu den Quellen und zur lebendigen Tradition. Er hat «hanc miniman inchoationis regulam» als «initium conversationis» [«diese einfache Regel für Anfänger» als «einen Beginn klösterlichen Tugendwandels»] geschrieben. Von da an kann, wer will, weitereilen (festinare) auf dem Pfad der «heiligen Väter». Und ein solcher wird dann die ganze Hl. Schrift als unerschöpfliche Regel haben («Quae enim pagina aut quis sermo divinae auctoritatis Veteris et Novi Testamenti non est rectissima norma vitae humanae?» [«Ist denn nicht jede Seite oder jedes von Gott beglaubigte Wort des Alten und Neuen Testamentes eine verlässliche Wegweisung für das menschliche Leben?»] RB 73,3). Und wenn Benedikt im 6. Jahrhundert einen Zerfall des Mönchtums feststellt, dann ist sein Heilmittel dafür nicht die Wiederherstellung der alten Regeln, sondern das Vorbild der evangelischen Nachfolge der großen Vorgänger. Was sind die Regeln des Basilius und die Schriften Cassians anderes als «bene viventium et oboedientium monachorum instrumenta virtutum» [«Tugendwerkzeuge für gute und gehorsame Mönche»], um auch heute noch «ad perfectionem conversationis» «sanctorum Catholicorum Patrum» [«zur Vollkommenheit des klösterlichen Lebens der hl. katholischen Väter»] zu gelangen? (RB 73,2;4)
Benedikt paßt seine Regel dem Geist des Augustinus und Basilius an und durch diese beiden schon einschlußweise dem Geist des hl. Johannes. Er öffnet sie andererseits zum ganzen Evangelium als einer Lebensregel – und das heißt konkret: zum Mysterium Christi. Und so wird Benedikt notwendigerweise mit der letzten und tiefsten Interpretation dieses Mysteriums konfrontiert: mit der des Johannes.
Um diese Begegnung recht einzuschätzen, muß man die Regel auf das hin lesen können, was sie durchscheinen läßt; das, was vordergründig die tägliche Übung des Mönches beschreibt, kann nur richtig verstanden werden als das Echo, der Widerschein, das Aufleuchten Christi selbst, der damit zum unmittelbaren und einzigen Hauptthema wird, so wie das Evangelium ihn uns zeigt. Christus stellt das Ziel dar, er ist das Moment der Beständigkeit: die «stabilitas». Der Mönch nimmt teil an dieser Beständigkeit Christi durch seine Gelübde, seine ein für allemal getroffene Entscheidung. Aber er kann nur daran teilnehmen in der täglichen Anstrengung des «currere», «festinare», σπεύδειν. [«laufen, sich beeilen»].
Die ausdrückliche Öffnung der Regel auf die gesamte Offenbarung hin gestattet folgende verblüffende Umkehrung: Die Theologie – oder vielmehr Christus – hat den Primat; die Aszese dient ihm. Dieses Prinzip führt uns weiter; wenn ich mich nicht täusche, verlangt es von uns nicht nur, bei dem von den Synoptikern gezeichneten Porträt Christi nicht stehenzubleiben, auch nicht bei den Sittenregeln des hl. Paulus, sondern bis zum johanneischen Bild Christi hinzugelangen. Es fordert vielleicht sogar von uns, durch das besondere Charisma Benedikts hindurchzuschauen: dieses Charisma des «Wächters» in der Nacht dieser Welt, des «custos quid de nocte» [«Wächter, wie weit ist die Nacht?» (Jes 21,11)], dieser vom Christus der Synoptiker gewünschten Fähigkeit: die Geister unterscheiden und die Zeichen der Zeit lesen zu können – dieses Charisma also zu übersteigen, um mit dem johanneischen Christus in der beständigen «krisis» zwischen Licht und Dunkel zu leben.
Bevor wir auf Einzelthemen eingehen, wollen wir einfach zeigen, daß diese Umkehrung weder künstlich noch gewaltsam ist. Dies läßt sich vor allem aus jenen Stellen ersehen, an denen uns der vollkommene Gehorsam beschrieben wird. Dieser ist ganz eindeutig keine aszetische Kraftprobe, sondern zieht all seine Kraft aus dem Beispiel Christi. Hier nun steht zweimal das Johanneszitat: «Non veni facere voluntatem meam, sed ejus qui misit me» [«Ich bin nicht gekommen, meinen Willen zu tun, sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat» (Joh 6,38)] (RB 5,13; 7,32). Basilius sagt uns in seiner lateinischen Regel (Kap. 69):
«Cum definitum sit, mensuram oboedientiae usque ad mortem esse» [«Da festgelegt ist, das Maß des Gehorsams gehe bis zum Tode»]. Weil Gott, der Vater, von ihm das Unmögliche («impossibilia») verlangt, alles in sich zu tragen, was für Gott unmöglich, abscheulich, empörend ist: deshalb stirbt der Sohn. Und einzig dieses Beispiel Christi rechtfertigt das wunderbare 68. Kapitel bei St. Benedikt: «si fratri impossibilia injungantur» [«wenn einem Bruder Unmögliches aufgetragen wird»]. Wenn er gemäß der Regel ohne Widerspruchsgeist die Gründe seines Unvermögens seinem Oberen darlegt, dann folgt der Bruder dem Beispiel Christi in Gethsemani. Und wenn der Vorgesetzte trotz seines Einwandes die Anordnung aufrechterhält, dann folgt der Bruder Christus bis ans Kreuz. Und da wir gerade dabei sind, warum nicht auch die beiden anderen großen Angelpunkte der «ars spiritualis» mit der Christologie verknüpfen: die «humilitas» [«Demut», RB 7] mit der Erniedrigung des Sohnes bis zur völligen Tilgung seiner selbst – und die «taciturnitas» [«Schweigsamkeit », RB 6] mit der Vollendung des «Verbum caro factum» [«Fleisch gewordenen Wortes»], mit dem Eingehen des Logos in den schweigenden Daseinsvollzug, mit der Haltung des Lammes, «qui occisus est ab origine mundi» [«das von Anfang der Welt her getötet ist», Ap 13,8], zur Schlachtbank geführt wird, «non aperiens os suum» [«ohne seinen Mund zu öffnen», Jes 53,7].
Der junge Mönch, der seine Gelübde ablegt, liefert sich dem Herrn aus. Er geht von der Anthropologie (selbst der spirituellen) über zur Christologie: «Suscipe me Domine, secundum eloquium tuum, et vivam» [«Nimm mich auf, Herr, nach deinem Wort, und ich werde leben»] (RB 58,21).
Versuchen wir nun, diesen Übergang zur Christologie zu beleuchten, indem wir vier Themen näher behandeln, die Herzstück der Regel wie auch des vierten Evangeliums sind:
- Stabilitas, das «menein» [«bleiben»] der Johannesschriften.
- Discretio oder krisis [«Unterscheidung»] von Licht und Dunkel.
- Gehorsam als Akt vollkommener Liebe.
- Konkretisierung der Autorität: des Vaters in Christus, Christi im Abt.
Jedes dieser Themen würde eine lange Behandlung erfordern. Ich beschränke mich auf eine kurze Skizzierung, die allerdings die Aktualität dieser Themen unterstreichen möchte.
1. Die Stabilitas ist bei Benedikt eindeutig die Fleischwerdung, das Konkretwerden einer Haltung, einer rein geistigen Entscheidung. Wir brauchen uns nur die verschiedenen Wortgruppen anzusehen: «stabilitas seu perseverantia» [«Beständigkeit oder Beharrlichkeit»] (RB 58,9), «stabilitas, conversatio morum et oboedientia» [«Beständigkeit, klösterlicher Tugendwandel und Gehorsam»] (58,17), «si (hospes) voluerit stabilitatem suam firmare» [«will er (der Gast) sich zur Beständigkeit verpflichten»] (RB 61,5). Oder – mit deutlich christologischem Akzent, der nicht einen Akt, sondern eine zuständliche Haltung Christi meint –, «si revera Deum quaerit, si sollicitus est ad Opus Dei, ad oboedientiam, ad opprobria» [«ob er wahrhaft Gott sucht, ob er Eifer hat für das Werk Gottes (hier vielleicht: das ganze Leben im Dienst Gottes: Vogüé, Kommentar), für den Gehorsam, bei Verdemütigungen»] (RB 58,7).
Das Ordensleben ist wesensgemäß ein Engagement auf Lebenszeit. Zeitliche Gelübde können nur als ein überlegter, freier Schritt auf ein solches Engagement hin verstanden werden. Mit ihm tritt man in ein christusförmiges Leben ein. «Venerunt et viderunt ubi maneret, et apud eum manserunt die illo, hora autem erat quasi decima» [«Da kamen sie mit und sahen, wo er wohnte, und blieben jenen Tag bei ihm; es war um die zehnte Stunde.»] (Joh 1,39). Man bleibt im Kloster, weil man bei Christus bleibt. Und gemäß der ersten Stufe der Demut bleibt man fest wie Er unter dem Blick des Vaters. «Non potest Filius a se facere quidquam, nisi quod viderit Patrem facientem,… Pater enim diligit Filium et omnia demonstrat ei… » [«Der Sohn kann nichts von sich aus tun, sondern nur, wenn er den Vater etwas tun sieht…, denn der Vater liebt den Sohn und zeigt ihm alles…»] (Joh 5,19ff.). Und Benedikt: «oblivionem omnino fugat et semper sit memor omnia quae praecepit Deus» [«(der Mensch) meide alle Nachlässigkeit und sei immer all dessen eingedenk, was Gott befohlen hat»] (RB 7,10-11).
Das ist eine dem Mönchtum eigentümliche Weise der Inkarnation, die ihr volles theologisches, sowohl inkarnatorisches wie eschatologisches Gewicht behält. Unnötig zu betonen, welcher Wert diesem Zeichen heute zukommt, da so viele entwurzelte Menschen die Beständigkeit ebenso sehnlich suchen wie zur Zeit der Barbareneinfälle.
Man kann natürlich der monastischen Stabilitas ihren Ort im Mysterium der 40 Tage Christi in der Wüste zuweisen. Dafür gibt es gute Gründe, wenn man die Betonung auf die Versuchung, die Wachsamkeit, die Buße legt. Aber mir scheint, man müßte mindestens auch – oder vielleicht sogar noch eher – an die Wüste des 12. Kapitels der Apokalypse denken. Denn dort weitet sich die Wüsten-Existenz, die Stabilitas dieser Existenz auf die ganze Kirchenzeit und charakterisiert sie grundlegend. Es handelt sich nicht um eine Aszese im philosophischen Sinn, obwohl sich all die äußeren Formen des Mönchtums in Indien und bei den Pythagoräern wiederfinden, nicht bloß anachoresis [Zurückgezogenheit], koinobion [Gemeinschaftsleben], monazein [Einsiedlertum] und enkleismos [Reklusentum], sondern auch kathezesthai, das nach manchen der Stabilitas entspricht. Bei Johannes ist das Motiv vielmehr ein rein theologisches. Der Pythagoräer flieht die Welt, während die Kirche der Apokalypse in der Wüste «einen Ort von Gott bereitet erhält, um dort ernährt zu werden» während der Zeit der Drangsal: «apo prósôpou tou ópheôs», abgerückt vom Antlitz des Drachen, obwohl dieser sie zu vernichten sucht. Dieser dauernde Zustand der Kirche soll durch die monastische Existenz in der Stabilitas sichtbar für alle dargestellt werden.
Man wird sich daran erinnern, daß die biblische Wüste ein Doppelgesicht trägt: Intimität mit Gott, aber in Verlassenheit, an Orten, die von Dämonen und Ungeheuern bevölkert sind. Im Neuen Testament sind diese beiden Aspekte nicht mehr zu trennen. Hören wir Bérengaud über die Apokalypse: «Solitudo Christus est … Christus desertus est a suis … in propria venit et sui eum non receperunt … Torcular calcavi solus. Mulier igitur fugit in solitudinem, quia apostoli et caeteri discipuli relicto Diabolo relictisque omnibus quae providebant, Christum secuti sunt» [«Die Wüste ist Christus … Christus ist von den Seinen verlassen … Er kam in das Seine und die Seinen nahmen ihn nicht auf … die Kelter trat ich allein. Die Frau floh in die Wüste, denn die Apostel und die übrigen Jünger folgten Christus, nachdem sie den Teufel und alles Ihrige verlassen haben »] (PL 17,877). Desgleichen Rupert von Deutz: die Frau floh in die Wüste, «quia videlicet nihil possidere in hoc mundo fida et tranquilla mentis solitudo est» [«denn nichts in dieser Welt zu besitzen, ist die sichere und ruhige Einsamkeit des Herzens»] (PL 169, 1049 C). Die Wüste ist Unbeweglichkeit. Die Frau bleibt (ménei), ohne selbst zu kämpfen, die Erde selbst kommt ihr zu Hilfe. Sie sorgt sich nicht um die Nahrung, Gott sorgt dafür. Die Wüste ist außerdem ein Ort der Schau (Apk 17,3): Johannes wurde in die Wüste versetzt, um das Weib auf dem Tier zu schauen und beim Gericht über es dabei zu sein. Die Wüste – von Charles de Foucauld wiederentdeckt – ist eines der Urbilder der Bibel, eine Idee, die sich nicht geographisch einschränken läßt: «Relinquetur vobis domus vestra deserta» [«Euer Haus wird euch verödet überlassen werden»] (Mt 23,38).
2. Genau hier fügt sich der zweite johanneische Aspekt ein: der Kampf, oder genauer gesagt, das Gericht (krisis) über die Finsternis durch das Licht. Der geistliche Kampf ist das älteste und geläufigste Thema der monastischen Theologie, von Antonius und den Pachomianern bis Evagrius (der hier noch mehr als sonst Schüler des Origenes ist), Hieronymus, den Predigten des Makarius, Cassian und dem Magister. Aber alle diese Kämpfe haben zunächst aszetischen Charakter, sind Anstrengungen, um den Frieden Gottes und Christi zu erlangen. Selbst wenn der Aszet seine Schlachten als Jünger Christi schlägt, indem er mit ihm zusammen gegen die Versuchungen der «acht schlechten Gedanken» streitet, steigt er nur selten in jene johanneische Sphäre auf, wo das ganze Sein des menschgewordenen Wortes für immer «Licht» ist, «das im Finstern leuchtet» [«lux quae in tenebris lucet»] (Joh 1,4). Aber genau in dieser Sphäre scheint das zu liegen, was Benedikt letztlich meint. Mitten durch den Mönch hindurch schneidet die Demarkationslinie «amor Dei – timor gehennae» [«Liebe zu Gott – Furcht vor der Hölle»]. Sein tägliches Leben besteht in einer beständigen Anstrengung, diese Linie zu überschreiten. «Currite dum lumen vitae habetis, ne tenebrae mortis vos comprehendant» [«Lauft, solange ihr das Licht des Lebens habt, damit euch nicht die Finsternis des Todes erfasse»] (Joh 12,35 : RB Prol. 13); eigenartiges Johanneszitat, wo das Licht nicht als das des noch lebenden Christus verstanden wird, sondern als das Licht des sterblichen Menschenlebens. Das ist die immer neue Bewegung: «Deverte a malo et fac bonum» [«Wende dich ab vom Bösen und tu Gutes», Ps 33,14 ; Prol. 17], eine Bewegung, die eine Versuchung in sich birgt, nämlich das Verdienst der Anstrengung sich selbst zuzuschreiben: «qui timentes Dominum, de bona observantia sua non se reddunt elatos, sed… Dominum magnificant… ; Non nobis, Domine, non nobis, sed nomini tuo da gloriam… Qui gloriatur, in Domino glorietur» [«Die den Herrn fürchten, überheben sich nicht wegen ihres guten Wandels, sondern … preisen den Herrn … Nicht uns, nicht uns, sondern deinem Namen gib die Ehre … wer sich rühme, rühme sich im Herrn»] (RB Prol. 29ff.) Aber man muß jene Sätze des Prologs mit dem großen Abstieg des 7. Kapitels zusammenbringen, um die christologische Tragweite zu entdecken. Warum genügt es nicht bloß zu bekennen, sondern warum muß man vielmehr «intimo cordis affectu» [«im tiefstem Herzen»] glauben, daß man «ein Wurm ist und kein Mensch, der Leute Spott und vom Volke verachtet» (RB 7)? Das kann nur in der Gleichgestaltung mit dem leidenden Christus einen Sinn bekommen, nämlich in der Gleichgestaltung mit dem Licht, das ins Innerste der Finsternis eindringt, bis zur erlösenden Identifikation mit ihr, um sie von innen her aufzulösen.
Der Christ wird, was ihn betrifft, immer an der Schwelle dieses Geheimnisses bleiben: einerseits soll er das rein Aszetische überschreiten, um Christus nachzufolgen, andererseits ist er nicht in der Lage, sich mit Christus und seinem Werk zu identifizieren. Er bleibt in der Schwebe. Die Ellipse seines Bewußtseins wird sich niemals zu einem Kreis runden. Das Beispiel des hl. Paulus ist hier sehr eindeutig. Mit Christus gekreuzigt, trägt er seine Wundmale, aber er maßt sich in keiner Weise eine miterlösende Funktion an: «Ist etwa Paulus für euch gekreuzigt worden?»
Genau hier, zwischen beiden, ist der Ort der benediktinischen Berufung «Wachet und betet» für euch selbst und für die Welt, aber wachet und betet mit mir in Gethsemani, mit mir, der ich selbst in der dunkelsten Versuchung bin.
3. Wir haben bereits von der unvergleichlichen Rolle des Gehorsams gesprochen. Wir müssen uns jetzt mit der Synthese beschäftigen, die sich darin zwischen Autorität und Liebe vollzieht. Diese Einheit entspricht bei Benedikt auf der historischen und äußeren Ebene der Synthese, die er zwischen dem Magister und Augustinus herstellt. Im Innersten aber ist es eine christologische Synthese. Das wird erst im Verlauf der Regel sichtbar. Im Anfang erscheint der Gehorsam dem Abt gegenüber – dem Magister, der den ersten Vers des Prologs eröffnet – als ein Absolutes, Unteilbares, dessen Sinn als bekannt vorausgesetzt wird. Tatsächlich wird die lange monastische Tradition in der Beziehung zwischen dem «pater pneumatikos», dem geistlichen Vater (Gestalt und Darstellung Christi) und dem Jünger, der durch seinen geistlichen Vater die Befehle des Herrn empfängt, von Benedikt nur zusammengefaßt und weitergeführt. In diesem einfachen Schema sind zwei Aspekte unlöslich miteinander verbunden. Sie bleiben es um so mehr, da das Coenobitentum praktisch die Ausflucht nach oben zum eremitischen Leben ausschloß: der Gehorsam dem pater pneumatikos, dem Abba gegenüber, ist nicht nur eine pädagogische Angelegenheit und damit zeitlich begrenzt, sondern er hat einen absoluten, unaufgebbaren Wert.
Die beiden untrennbaren Aspekte des Gehorsams haben ihren tiefsten Grund in Christus. Denn einerseits könnte der Abt keinen absoluten Gehorsam verlangen, wenn er nicht durch Christus dazu bevollmächtigt wäre. («Christi enim agere vices in monasterio creditur.» [«Man betrachtet ihn wirklich als den Stellvertreter Christi im Kloster»] RB 2,2) Er repräsentiert ihn durch sein Amt als Lehrer und Hirte, und er ist gehalten, ihn zu repräsentieren, indem er das Beispiel des fleischgewordenen Wortes gibt: «omnia bona et sancta factis amplius quam verbis ostendat» [«Alles Gute und Heilige soll er mehr durch Taten als durch Worte zeigen»] (RB 2,2.12). Andererseits ist der Gehorsam, der ihm geschuldet wird, nicht weniger christologisch, weil er unbedingt und ohne Vorbehalt aus Liebe zu Christus geleistet werden muß («nihil sibi a Christo carius aliquid existimant» [«sie erachten nichts teurer für sich als Christus»] RB 5,2), in der Nachahmung Christi («tales illam Domini imitantur sententiam qua dicit : non veni facere voluntatem meam, sed ejus qui misit me» [«solche ahmen jenes Wort des Herrn nach, in dem er sagt: Ich bin nicht gekommen meinen Willen zu tun, sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat»] RB 5,13), Christi, der Gott, seinem Vater, gehorchte («quid oboedientia quae maioribus praebetur, Deo exhibetur» [«denn der Gehorsam, der den Oberen geleistet wird, wird Gott erwiesen»] RB 5,15).
Christus erscheint also im Meister wie im Jünger. Er ist ja in sich selbst untrennbar der gesetzgebende Logos und der erniedrigte Knecht. In der grundlegenden monastischen Beziehung wird Christus in seiner dramatischen Existenz und in all seinen umfassenden Dimensionen dargestellt: in seiner göttlichen Souveränität und in seiner Erniedrigung bis zum letzten Platz (6. und 7. Stufe der Demut). Das eine geht nicht ohne das andere. Es ist der Ruhm und die erhabene Einfalt des Mönchtums und seiner gelebten Theologie: in dieser dramatischen oder besser sakramentalen Repräsentation der Person und des Wirkens Christi zu verharren, ohne sie in eine dahinterliegende Reflexion übersteigen zu wollen, die übrigens nur in Sackgassen führen würde.
In diesem Zusammenhang läßt sich fragen: Wenn der erniedrigte Christus seinem Vater und nicht sich selbst gehorcht, wie kann der Abt, wenn er befiehlt, den Sohn darstellen? Das Mönchtum kann darauf nur mit dem Wort Christi antworten: «Wer mich sieht, sieht den Vater». «Meine Lehre ist nicht meine Lehre, sondern dessen, der mich gesandt hat.» Und die Ehrfurcht des Sohnes vor dem Vater übersetzt sich im Abt in die stark betonte Furcht des Herrn: mit dem Auftrag, den er empfangen, mit der Verantwortung für die Seelen, die er auf sich genommen hat, steht er selbst in einem Gehorsam, der strikter ist als jeder andere. Er kann keineswegs tun, was er will, «quasi libera utens voluntate» [«als könnte er seine Macht willkürlich gebrauchen»] (RB 63,2).
Insofern Christus den Vater darstellt, ist der Abt gehalten, die Demut seiner Untergebenen zu erproben, um sie in den Geist völliger Selbstverleugnung einzuführen – das ist die einstimmige Tradition des Mönchtums seit den Anfängen. Insofern aber Christus selbst vom Vater gedemütigt wird, muß der Abt verständlich machen, daß es hierbei nicht um ein Werk reiner Gerechtigkeit, sondern um ein Werk der Liebe geht. Das wird vor allem in der zweiten Abhandlung über den Abt (RB 64) sichtbar. «Studeat plus amari quam timeri» [«er strebe danach, mehr geliebt als gefürchtet zu werden»] (RB 64,15): der Sohn gehorcht dem Vater immer nur innerhalb der gegenseitigen Liebe, selbst, wenn während der Passion diese Liebe nicht mehr erfahren wird. Die gesamte Kraft des Mönchtums liegt in diesem christologischen Bezug, der übrigens beim hl. Ignatius von Loyola unverkürzt wieder auftaucht, und der das Herzstück des johanneischen Zeugnisses ist. Wenn St. Benedikt die zentrale Inspiration des alten Mönchtums für die westliche Zivilisation bewahrt und überliefert hat, so hat er zugleich den Kern der johanneischen Theologie bewahrt und weitergegeben.
Ich glaube, daß – trotz der stürmischen Einwände der modernen Mentalität – allein das entschlossene Durchhalten der ursprünglichen theologischen Intuition dem Mönchtum eine Überlebenschance gibt. Es gibt auf diesem Gebiet Einwände ohne Ende: ist das göttliche Mysterium von Kalvaria nicht einzigartig, wie kann man es in einer Art menschlicher Verdemütigungs-Technik fortführen, die in einer Unterdrückung schlimmster Sorte ausarten könnte? Auf alle Fälle sind Erleichterungen, Vorsichtsmaßnahmen, Ausweichmöglichkeiten am Platze. Aber schließlich: hat Christus sich nicht seiner Kirche ausgeliefert, sich selbst in seinem Erlösungsakt und nicht erst in seinen Verdiensten – post festum? Ist die Kirche nicht eingeladen, an seinem Tun selbst teilzunehmen?2
4. In solcher Gehorsamsgestalt ist eine ganze trinitarische Theologie einbegriffen. Die Regel – wir sagen es nochmals – ist kein theologisches Traktat. Wenn wir nicht jene Tagebuchseiten besäßen, die Ignatius zu verbrennen vergaß, wer vermöchte aufgrund seiner Konstitutionen seine tiefe trinitarische Mystik zu erraten? Bei Benedikt ist Christus gleichzeitig er selbst, der Heiland, Richter, Logos- und der Repräsentant des Vaters. Er läßt ihn konkret werden. Indem man den Sohn sieht, findet man Zugang zum Herzen des Vaters. Christus ist auch der geisterfüllte Mensch, die Gegenwart des Pneumas in der Welt. Der hl. Geist erscheint bei Benedikt am Ende der Demutsstufen (RB 7,70) und in der Beschreibung des «je-mehr» der Liebe, des «magis», das Anzeichen der Anwesenheit Gottes ist, «… so daß jeder Gott aus eigenem Antrieb etwas opfert in der Freude des hl. Geistes, etwas über das Maß des ihm Auferlegten hinaus» (RB 49,6)
Christus ist also für uns die Verdichtung des trinitarischen Mysteriums. Eine Abhandlung über die Trinität, ohne Berücksichtigung der Christologie, verliert sich in unfruchtbare Abstraktionen. Christus ist außerdem nach Johannes (die engen Beziehungen des Johannes-Evangeliums zu den Weisheitsbüchern sind bekannt) die Verdichtung des ganzen Alten Testaments (um vom Neuen Testament ganz zu schweigen). Ohne jedes Bedenken legen der Magister und Benedikt Christus die Worte des Psalters in den Mund (vgl. Prolog). Christus ist zugleich die Weisheit und das Wort, aber ein Wort, das Fleisch geworden ist, und eine Weisheit, die sich zur Torheit des Kreuzes macht.
Hier wäre noch eine letzte Konsequenz zu ziehen, eine christologische und insbesondere johanneische. Bekanntlich führt die Leiter der zwölf Demutsstufen – die ausdrücklich als Jakobsleiter beschrieben wird – den Schüler der Magisterregel von der Erde zum Paradies, das im Schlußteil ausholend beschrieben wird. Benedikt läßt diesen Schluß fallen, er läßt sogar das Paradies weg, um einzig zu jener Liebe durchzustoßen, «quae perfecta foris mittit timorem» [«die vollkommen ist und die Furcht austreibt»] (1 Joh. 4,18). «Alles, was der Mönch bislang nicht ohne Furcht befolgt hat, beobachtet er nun ohne Mühe … nicht mehr aus Furcht vor der Hölle, sondern aus Liebe zu Christus.» (RB 7,68 f) Eine erstaunliche Stelle in einer Regel, die so oft die «timor Domini», die Gottesfurcht, einschärft. Dies ist nun die letzte Erfüllung des «caro factum est» [«Fleisch gewordenen Wortes»] – oder technisch ausgedrückt: präsentische Eschatologie.
Müßte das göttliche Offizium, das im monastischen Tagesablauf die zentrale Stellung einnimmt, nicht von daher neu interpretiert werden? Es ist keineswegs ein Rückfall in das alttestamentliche Wort, das noch nicht Fleisch geworden ist, im Gegenteil: es ist Gegenwart des Verbum incarnatum in seiner Kirche, die, Gott lobend, selber eintritt in den Erlösungsakt des Erlösers. Die Kommunität unterliegt der Regel des Herrn, sie gibt sich hin, tritt zurück, kurz: sie gehorcht der existentiellen Bewegung Christi. Die Messe steht im Mittelpunkt des Chorgebetes, und diese Mitte verstrahlt sich in alle Teile des Offiziums, die sich ihr organisch angliedern, so wie bei Johannes die große eucharistische Rede und das hohepriesterliche Gebet nur die Ausfaltung des eucharistischen Mysteriums in Worten darstellen. Und diese Ausfaltung ist keine Veräußerlichung, sondern im Gegenteil die Enthüllung (für seine nächsten Freunde) der verborgenen Dimensionen des Sakramentes. So ist das benediktinische Offizium in der Lage, die unabsehbaren Dimensionen des Mysteriums «Verbum caro» in sämtlichen Richtungen zu durcheilen.
So scheint mir, daß eine benediktinische Theologie nicht nur nach den literarischen und patristischen, sondern vor allem nach den biblischen Quellen, aus denen sie lebt, tief graben und bis zu ihnen vordringen müßte. Sie sollte aus der theologischen und spirituellen Tradition vor und nach Benedikt (ich spreche nicht von der Regel!) alles entfernen, was das Zeitlose oder besser das allzeit Gültige auf ein bestimmtes geschichtliches Niveau verengt oder fixiert hat. In der Tradition kann man sich aller Dinge bedienen, darf aber nirgends hängenbleiben. Selbst bei der schönen, vielleicht zu schönen, Literatur des 12. Jahrhunderts nicht, denn es geht heute nicht so sehr um Wissenschaft und Gottverlangen3, sondern um die Liebe zum bis ans Kreuz erniedrigten Christus und zum Gehorsam Gott gegenüber. Oder – wenn Sie wollen – um das Verlangen nach Gehorsam. Durch alle Widerstände und Verbote der modernen Psychologie und Soziologie hindurch geht es darum, ganz schlicht die christologischen Maßstäbe und Beziehungen wieder herzustellen, es geht um die Regel des Evangeliums, ὁ νόμος τοῦ Χριστοῦ [«das Gesetz Christi»] (Gal 6,2), die gemäß dem Konzil die einzige Regel aller Orden ist. «Cum vitae religiosae ultima norma sit Christi sequela in Evangelio proposita, haec ab omnibus institutis tamquam suprema regula habeatur» [«Letzte Norm des Ordenslebens ist die im Evangelium dargelegte Nachfolge Christi. Sie hat allen Instituten als oberste Regel zu gelten»] (Perfectae caritatis 2a).
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Vgl. Gribomont, Les Règles Morales de S. Basile et le N.T., «Stud. Patr.» II, 1957, 416ff.↩
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Ich sehe einen grundlegenden praktischen Einwand voraus: Das Bild der Vaterschaft des Abtes kann nicht wiederhergestellt werden. Die Entwicklung der «Freiheitsgeschichte» ist unumkehrbar. 1) Sie beginnt im Mittelalter: Der Vorgesetzte wurde zum Wohle der Gemeinschaft eingesetzt; 2) Sie setzt sich natürlich seit der Aufklärung und Rousseau fort; 3) Heute ist es die Kompetenz, die entscheidet: Die des Einzelnen, der spezialisiert ist, oder aber die (möglicherweise) eines Kollegiums, eines Rates «consilium»: «convocet … omnem congregationem», Kap. 3) oder nur von «seniores».
Antwort. Das Problem stellt sich in gleicher Weise bei den Jesuiten und den Säkularinstituten (vor allem!). Es geht darum, wie ein intakter, theologisch integraler Gehorsam mit persönlichen Verantwortungen vereinbart werden kann, die zum Teil in der Kompetenz des Einzelnen liegen.
1. Vollständiger Gehorsam (im Ordensleben oder in einem Säkularinstitut) kann nicht partiell sein, sich nur auf das geistliche Leben beziehen und alles ausschließen, was mit Arbeit, Beruf usw. zu tun hat.
Andererseits darf der Gehorsam nicht mechanisch sein, er darf nicht die gesamte Verantwortung auf den Vorgesetzten abwälzen, wie es in einigen alten Regeln der Fall ist. Es gibt sicherlich eine Verwurzelung der Verantwortung im weltlichen Bereich, der seine eigenen Gesetze hat - die der Vorgesetzte bis zu einem gewissen Grad respektieren muss. Auch er ist verpflichtet! Aber es gibt Grenzen; z.B. der verursachte Skandal, der Schaden für den Orden, die Gemeinschaft, die Benachteiligung des Einzelnen.
Hier stellt sich das Problem des höchsten Gutes, des absoluten Wertes des Gehorsams.
Der christliche Gehorsam (in der Nachfolge Christi) ist in der Tat das absolute Gut.
a) Natürlich gibt es in ihm das relative Gut der Erziehung zum Gehorsam, zur Entsagung. Lernen, schwierige, abstoßende Dinge zu tun: der Abt ist auch hier Erzieher, Arzt, «paideutês» (oder Novizenmeister, oder geistlicher Vater).
b) Aber darüber hinaus gibt es noch das absolute, bedingungslose Gut des Gehorsams. Es ist der Gehorsam, der letztendlich die Welt gerettet hat und nicht das aktive Apostolat. Der Haltung, die er gebietet und die Verfügbarkeit ist, können keine Grenzen (a priori) auferlegt werden. Wenn sie begrenzt wird, ist man nicht mehr auf dem Weg Christi, das Ordensleben ist nicht mehr das Sakrament, das den Erlösungsakt in seinem reinsten Wesen gegenwärtig macht, sondern irgendein anthropologischer Versuch, bei dem die äußere Wirksamkeit als Kriterium dient.
2. Wie lässt sich das alles miteinander vereinbaren?
a) Es muss um jeden Preis eine bedingungslose Verfügbarkeit gefordert werden, auch im Bereich der persönlichen Kompetenz. In dieser Haltung wird der Beruf aus dem Geist des Gehorsams übernommen; Verantwortung auszuüben bedeutet, Gehorsam auszuüben. Der Vorgesetzte verpflichtet sich für das, was er gewährt; auch er ist verantwortlich, aber nicht nur gegenüber dem Untergebenen, sondern vor Gott. Und in einigen Fällen kann es sein, dass er den Untergebenen von seinen Pflichten entbinden muss.
b) Bei der Ausübung des Gehorsams ist Vorsicht angebracht (aber kein Minimalismus).
– In geistlichen, inneren Angelegenheiten: Rückkehr zum «pater pneumatikos», zur echten Erfahrung eines geistlichen Meisters (siehe die Debatte über das Abbot).
Gehorsam ist nur möglich, wenn es Vertrauen gibt (wie der Sohn dem himmlischen Vater vertraut), sonst kann man nicht zu den «difficiliora» oder sogar den «impossibilia» (menschlich) führen: was vom spirituellen Standpunkt aus notwendig sein kann.
Es ist notwendig, dass der Gehorsame an einem gewissen Punkt das Gefühl verliert, die Situation zu beherrschen. Er muss den Boden unter den Füßen verlieren.... (Augustinus: «stare super se», mit dem Kopf nach unten). Dazu bedarf es eines objektiv begründeten Vertrauens in die geistliche Kompetenz des Direktors und einer gewissen natürlichen und übernatürlichen Intelligenz auf beiden Seiten. Wo es keine Kultur des Herzens und des Geistes gibt, wird das religiöse Leben unmöglich.
– Zeitliche Angelegenheiten: Gemeinsame Beratung, mit der betreffenden Person, mit anderen kompetenten Personen. Aber wenn die Situation geklärt ist, muss der Obere anordnen und nicht nur beraten... Haben Sie den Mut, das alte Sprichwort anzuwenden: «qui vos audit, me audit». [«Wer euch hört, hört mich», Lk 10,16].
c) Es sollte das gesamte Ordensleben auf das lebendige Bewusstsein zentriert werden, in das christologische Geheimnis eingepflanzt zu sein, das ein trinitarisches Geheimnis ist, das in das ekklesiologische Geheimnis übersetzt ist. Die Mönche haben die Pflicht, es all jenen, die es zu vergessen drohen, gegenwärtig und bewusst zu machen.↩
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Vgl. Jean Leclercq, Wissenschaft und Gottverlangen. Zur Mönchstheologie des Mittelalters, Düsseldorf, Patmos, 1963; Original: L’Amour des lettres et le désir de Dieu, Cerf, 1957 [Anm. d. Red.].↩
Hans Urs von Balthasar
Titre original
Les thèmes johanniques dans la règle de S. Benoît et leur actualité
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Langue :
Allemand
Langue d’origine :
FrançaisMaison d’édition :
Saint John PublicationsAnnée :
2024Genre :
Article
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Und sie folgten der Regel St. Benedikts. Die Cistercienser und das benediktinische Mönchtum. Köln: Wienand Verlag, 1981, 133–143 [Geprüfte Übersetzung des französischen Originals; leicht geändert für diese Digitalausgabe (Saint John Publications)]
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